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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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sie allmählich wieder zur Vernunft und dachte an die harten Tage, die vor ihr lagen, und an die Gefahr, die sie auf die Reise getrieben hatte.
    Achamian wurde beobachtet.
    Wenn sie sich das vor Augen führte, musste sie immer an die Nacht mit dem Fremden denken. Manchmal war sie so angewidert, dass sich ihr die Erinnerung an seinen pechschwarzen Samen alle naselang aufdrängte. Dann wieder befiel sie eine große Kälte, und sie ließ das, worüber sie gesprochen hatten, taxierend Revue passieren und betrachtete alle Lust, die er ihr verschafft hatte, mit der Leidenschaftslosigkeit eines Steuerpächters. Sie mochte noch immer kaum glauben, dass sie Achamian so betrogen hatte…
    Und doch hatte sie es getan.
    Aber nicht ihr Verrat beschämte sie, denn Achamian – dessen war sie sich gewiss – würde an ihrem Verhalten nichts auszusetzen haben. Nein, tief peinlich war ihr die Lust, die sie in der Nacht mit dem Fremden empfunden hatte.
    Einige Huren verachteten ihren Beruf so sehr, dass sie bei jedem Freier Schmerz und Bestrafung suchten. Esmenet dagegen rechnete sich zu denen, die (jedenfalls ab und an) darüber lachen konnten, für ihr Vergnügen bezahlt zu werden. Denn ihre Lust gehörte ihr – egal, wer sie ihr verschaffte.
    Aber nicht in jener Nacht. So unvergleichlich intensiv sie die Begegnung mit dem Fremden auch erlebt hatte und so erregt sie gewesen war – ihre Lust hatte nicht ihr gehört. Esmenet war vielmehr heimgesucht und missbraucht worden, und die Scham darüber versetzte sie stets aufs Neue in Wut.
    Wer auch immer er war – er hatte sie nur stimuliert, um ihre Lust zum Werkzeug seiner Interessen zu machen, und sie nur befriedigt, damit sie auf seine Fragen empfänglich reagierte und lammfromm antwortete.
    Mochte ihr Körper auch Mühe haben, den Exzess jener Nacht zu verwinden – ihr Geist war längst weiter. Wenn der Fremde von ihr wusste, dann wusste er auch von Inrau: Diesen Zusammenhang hatte Esmenet rasch begriffen. Wenn er aber von Inrau wusste, konnte sein Tod schlechterdings kein Selbstmord gewesen sein. Und genau deshalb musste sie Achamian finden, den die Möglichkeit, Inrau habe Selbstmord begangen, beinahe hatte zerbrechen lassen.
    »Und wenn es doch so ist, Esmi? Wenn er sich doch umgebracht hat?«
    »Das hat er bestimmt nicht. Hör auf damit, Akka. Bitte.«
    »Aber er hat es getan… Das spüre ich! Ich hab ihn in eine Situation gebracht, in der er zum Verräter werden musste – entweder an mir oder an Maithanet. Begreifst du das denn nicht, Esmi? Ich habe ihn gezwungen, eine Liebe gegen die andere aufzuwiegen!«
    »Du bist betrunken, Akka. Und wenn du betrunken bist, rauben deine Ängste dir den Verstand.«
    »Gute Güte – ich habe ihn umgebracht.«
    Wie kraftlos ihr Widerspruch gewesen war! Hölzerne Beschwichtigungen, die sie immer unduldsamer geäußert hatte! Und diese Unduldsamkeit hatte aus dem unerklärlichen Misstrauen hergerührt, er bezichtige sich nur, um ihres Mitleids sicher zu sein. Warum war sie so kalt gewesen? So selbstsüchtig? Einmal hatte sie sich sogar dabei ertappt, sich über Inrau zu ärgern und ihm die Schuld für Achamians Abreise anzulasten. Wie hatte sie so etwas nur denken können?
    Aber das würde sich jetzt ändern – wie vieles andere auch.
    Selbst wenn es ihr kaum glaublich schien: Irgendwie hatte sie eine Rolle in dem, was gerade geschah – wobei ihr allerdings schleierhaft war, was sich da eigentlich zutrug. Jedenfalls würde sie den Dingen gewachsen sein!
    Du hast ihn nicht umgebracht, Liebster. Das weiß ich!
    Und sie wusste auch, wer der Mörder war. Zwar hätte der Fremde sich vermutlich auch von einem Orden engagieren lassen, doch irgendwie war ihr klar, dass keiner der Orden hinter seinem Besuch steckte: Was sie erlitten hatte, war jenseits der Drei Meere ersonnen worden.
    Die Rathgeber hatten Inrau umgebracht. Und sie hatten sie missbrauchen lassen.
    Die Rathgeber.
    So erschreckend diese intuitive Erkenntnis auch war, so erregend war sie zugleich. Seit Jahrhunderten hatte niemand, nicht einmal Achamian, die Rathgeber gesehen. Ihr hingegen… Aber darüber dachte sie lieber nicht allzu viel nach, denn wenn sie das tat, begann sie sich… glücklich zu fühlen. Und das konnte sie nicht ertragen.
    Also sagte sie sich, sie sei im Auftrag Achamians unterwegs. In sorglosen Momenten verglich sie sich mit der einen oder anderen Heldin aus den Sagas, mit Ginsei beispielsweise – oder mit Ysilka, einer Frau, die tödlich in die Machenschaften

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