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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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erfahren.
    Diese Ausnahme war Achamian gewesen.
    »Fragst du eigentlich alle deine Kunden so aus?«, hatte er sie mal aus heiterem Himmel gefragt.
    Sie war nicht überrascht gewesen, denn auch andere hatten das schon wissen wollen. »Ich fühle mich wohler, wenn ich weiß, dass meine Freier nicht nur Sex im Kopf haben.«
    Das war eine Halbwahrheit. Achamian reagierte erwartungsgemäß skeptisch, runzelte die Stirn und meinte: »Schade.«
    Das hatte gesessen, obwohl sie nicht einmal wusste, was er gemeint hatte. »Was ist schade?«
    »Dass du kein Mann bist«, gab er zurück. »Wenn du einer wärst, müsstest du die, die dich gekauft und benutzt haben, nicht auch noch zu deinen Lehrern machen.«
    In dieser Nacht hatte sie in seinen Armen geweint.
    Aber sie hatte ihre Befragungen fortgesetzt und aus den vielen Erzählungen ein weitreichendes Wissen zusammengetragen.
    Daher war ihr bekannt, dass der Weg über die Via Karia und die Via Pon zwar länger, für eine allein reisende Frau aber viel sicherer war als die kürzeren Routen entlang der Küste. Und daher wusste sie auch, dass sie besser in einer Gruppe reiste, damit alle, denen sie begegnete, annahmen, sie gehörte dazu.
    Und daher machte ihr die kaputte Sandale auch solche Sorgen. Anfangs hatte die herrliche Offenheit der Landschaft und ihr eigener Wagemut sie berauscht, nun aber empfand sie ihre Einsamkeit als Last. Sie fühlte sich ausgesetzt und stellte sich vor, hinter jedem Wäldchen würden Bogenschützen im Hinterhalt liegen und nur darauf warten, einen Blick auf ihren tätowierten Handrücken zu erhaschen, etwas zugeflüstert zu bekommen oder einen anderen untrüglichen Hinweis zu erhalten.
    Die Straße stieg an, und Esmenet humpelte weiter, so gut sie konnte. Ihre aufkommende Verzweiflung ließ den nackten Fuß nur noch mehr schmerzen. Wie sollte sie es so bis nach Momemn schaffen? Sie hatte immer wieder gehört, sicher zu reisen sei stets auch eine Sache der Vorbereitung, und jeder qualvolle Schritt erschien ihr daher wie ein verdienter Tadel.
    Nun verlief die Via Karia wieder sanft bergab, um bald durch eine Schwemmebene zu führen, dann etwas zu kreuzen, das aus der Ferne wie ein kleiner Fluss aussah, und schließlich schnurgerade in die dunklen Hügel zu eilen, die den Horizont umgaben. Aus kahlen Baumdickichten ragten die Pfeiler eines zerstörten Aquädukts aus ceneischer Zeit auf, der den Mittelgrund teilte und überall dort in kleine Schuttfelder zerbröselte, wo die Einheimischen Steine geplündert hatten. Etwas weiter in der Ferne liefen Feldwege in Serpentinen die Höhenzüge hinauf, säumten brachliegende Äcker und verschwanden in steilen Waldhängen. Esmenet aber blickte hoffnungsvoll auf die ländlichen Gebäude links und rechts der Brücke, aus deren Schornsteinen dünne Rauchfahnen in den grauen Himmel stiegen.
    Sie hatte etwas Geld – mehr als genug jedenfalls, um ihre Sandale reparieren zu lassen.
    Als sie sich dem Dorf näherte, tadelte sie sich für ihre Bedenken. Sie hatte gehört, anders als viele Provinzen des Kaiserreichs besitze Massentia nur wenige große Plantagen und sei ein Land der Handwerker und freien Bauern, die direkt, ehrlich und stolz seien.
    Dann aber dachte sie daran, wie finster gerade diese Männer immer geblickt hatten, wenn sie sie in ihrem Fenster in Sumna hatten sitzen sehen. »Kerle, die auf eigene Rechnung schuften«, hatte die alte Pirasha einmal gesagt, »glauben, sie hätten Wahrheit und Anstand gepachtet.« Und der Anstand war Huren nicht wohlgesonnen.
    Esmenet ärgerte sich über ihre Sorgen. Alle hatten doch gesagt, Massentia sei sicher.
    Sie kam auf den bescheidenen Marktplatz gehumpelt, suchte die Fassaden ringsum nach einem Schuster ab, konnte aber keinen entdecken und schnüffelte darum nach dem Tran, mit dem die Gerber ihre Tierhäute behandelten. Eigentlich brauchte sie nur einen Streifen Leder. Sie kam an Lehmhaufen, dann an vier miteinander verbundenen Töpferschuppen vorbei. In einem davon saß ein alter Mann trotz der Kälte an der Töpferscheibe und brachte den Lehm mit den Daumen in Form. Ein gutes Stück hinter ihm stand ein Ofen mit glühender Klappe. Das Husten des Mannes klang wie gurgelnder Matsch und erschreckte sie.
    Sie fragte sich gedankenverloren, ob im Dorf die Pocken grassierten.
    Fünf Jungen hockten vor einem Stall und blickten unverwandt zu ihr hin. Der Älteste (oder doch Größte) beobachtete sie mit offener Bewunderung. Er hätte gut ausgesehen, wäre seine Augenpartie

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