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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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sah, dass der Tempelritter dem Priester erneut einen Schlag versetzte, und ärgerte sich, dabei zusammenzuzucken. Warum sollte sie mit diesem widerlichen Kerl Mitleid haben? Sie holte tief Luft, wischte sich frische Tränen aus dem Gesicht und beruhigte sich allmählich.
    »Kommt«, sagte der Tempelritter, nachdem er mit dem Priester fertig war, und reichte Esmenet die Hand. »Von diesen Provinzidioten hab ich genug.«
    »Wer seid Ihr?«, fragte sie heiser und brach einmal mehr in Tränen aus.
    »Cutias Sarcellus«, antwortete der Reiter verbindlich. »Kommandierender General der Tempelritter.«
    Sie langte hoch, und er nahm sie bei der tätowierten Hand.
    Männer des Stoßzahns hetzten durch die Dunkelheit. Ab und an schimmerte ein Stück Eisen auf – sonst war von den großen Gestalten kaum etwas zu erkennen. Auch Achamian war unter ihnen und führte sein Maultier schnellen Schritts durch die Nacht. Die anderen interessierten sich allenfalls flüchtig für ihn – Fremde waren für sie offenbar alltäglich geworden.
    Die Situation beunruhigte ihn. Noch nie hatte er sich durch so ein Lager geschlängelt. Jedes Feuer, das er passierte, schien ihm eine eigene Welt des Vergnügens oder der Verzweiflung. Er schnappte Bruchstücke von Gesprächen auf und sah da und dort kämpferische Gesichter am Feuer, während er als Teil einer schattenhaften Prozession durchs Dunkel glitt. Zweimal kam er auf eine Hügelkuppe, von wo er einen Blick auf den Phayus und seine überfüllten Schwemmebenen hatte, was ihn beide Male ehrfürchtig innehalten ließ. Bis zum Horizont waren zahllose Lagerfeuer zu sehen, die an den fernen Hängen zu Sternbildern zusammenzutreten schienen, während sie in der Nähe Zelte aus Leinwand und kriegerisch ausstaffierte Männer erkennen ließen. Vor Jahren hatte er in einem Amphitheater bei Carythusal die Aufführung eines Dramas der Ainoni gesehen. Damals hatte ihn der Kontrast zwischen den im Dunkeln sitzenden Zuschauern und den im Hellen stehenden Schauspielern schwer beeindruckt. Hier nun schien es, als würden tausend Dramen aufgeführt. Wie viele Menschen das waren… und so weit von zu Hause entfernt… Hier konnte er spüren, über welche Macht Maithanet verfügte.
    Mit so vielen Kriegern können wir gar nicht scheitern…
    Er grübelte einige Zeit darüber nach, erstmals unwillkürlich »wir« gedacht zu haben.
    Im Westen konnte er die gewundene Stadtmauer von Momemn erkennen, auf deren gewaltigen Türmen Fackeln leuchteten, und hielt auf sie zu. Je näher er kam, desto kahler und festgetrampelter war der Boden. Er traute sich ins Licht einiger Lagerfeuer und fragte, wo er die Truppen des Attrempus finden könne, querte eine nur für Fußgänger gedachte Brücke, die über das stehende Wasser eines Kanals führte und unter den Hufen seines Maultiers kräftig knackte, und fand schließlich das Lager seines alten Freundes Krijates Xinemus, des Marschalls von Attrempus.
    Obwohl Achamian ihn sofort erkannte, blieb er zunächst außerhalb des vom Lagerfeuer geworfenen Lichtkreises und beobachtete ihn. Proyas hatte ihm mal gesagt, er sehe Xinemus wirklich bemerkenswert ähnlich und könnte sein kleiner Bruder sein. Natürlich war es Proyas nie in den Sinn gekommen, dass er seinen alten Lehrer mit diesem Vergleich verletzt haben könnte, denn er hielt seine Beleidigungen – wie viele überhebliche Leute – für einen Ausdruck von Ehrlichkeit.
    Einen Kelch Wein in Händen, saß Xinemus an einem kleinen Feuer und unterhielt sich leise mit dreien seiner ranghöchsten Offiziere. Selbst im rötlichen Flammenschein wirkte er müde und abgespannt, als spreche er über etwas, das weit außerhalb ihres Einflusses lag. Gedankenverloren kratzte er an der Schuppenflechte, die sich – wie Achamian wusste – immer wieder bei seinen Ohren bildete, wandte dann unerklärlicherweise den Kopf und spähte in die Dunkelheit – genau dorthin, wo der Hexenmeister stand.
    Der Marschall von Attrempus zog ein finsteres Gesicht und rief: »Zeig dich, Freundchen!«
    Warum auch immer – Achamian brachte keinen Mucks hervor.
    Nun blickten auch die anderen prüfend zu ihm rüber. Er hörte einen von ihnen, Dinchases, etwas von Gespenstern murmeln, während rechts davon Zenkappa das Zeichen des Stoßzahns schlug.
    »Das ist kein Gespenst«, sagte Xinemus, stand auf und schob den Kopf vor, als blinzelte er durch Nebel. »Achamian?«
    »Wenn Ihr nicht neben mir stündet«, sagte Iryssas, der dritte Offizier, zu Xinemus, »würde

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