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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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nicht seltsam verrutscht gewesen. Esmenet dachte an die Bemerkung eines ihrer Freier, es sei schwer, in solchen Dörfern schöne Kinder zu finden, da sie meist an reiche Reisende verkauft würden. Esmenet ertappte sich bei dem Gedanken, ob auf diesen Jungen je etwas geboten worden war.
    Sie lächelte, als er angeschlendert kam. Vielleicht könnte er ja…
    »Bist du eine Hure?«, fragte er unverblümt.
    Esmenet konnte ihn nur zornig und erschrocken anfunkeln.
    »Na klar! Bestimmt!«, rief einer der anderen. »Aus Sumna! Darum versteckt sie ihre Hand!«
    Ein paar Soldatenflüche gingen ihr durch den Kopf. »Fick dich ins Knie, du Wichser!«, fuhr sie ihr Gegenüber an.
    Der Junge grinste, und Esmenet begriff sofort, dass er zu denen gehörte, die das Bellen eines Hundes ernster nehmen als die Worte einer Frau.
    »Zeig mir deine Hand.«
    Etwas an seiner Stimme verunsicherte sie.
    »Hast du keinen Stall, den du ausmisten musst?«, fragte sie höhnisch und hätte ihn fast obendrein als Sklaven tituliert.
    Der Blick des Jungen, in dem eben noch lässige Boshaftigkeit gelegen hatte, verhärtete sich. Als er ihre Hand packen wollte, gab sie ihm eine Ohrfeige. Er stolperte erschrocken zurück.
    Um seine Fassung wiederzuerlangen, beugte er sich zu den anderen runter und sagte ernst: »Sie ist eine Hure«, als ob bedauerliche Wahrheiten nun mal bedauerliche Konsequenzen nach sich ziehen müssten. Dann richtete er sich wieder auf und ließ einen schmutzigen Stein zwischen den Fingern spielen. »Eine ehebrecherische Hure.«
    Diesen Worten folgte ein Moment nervöser Anspannung. Die vier anderen zögerten. Sie standen an einer Schwelle und wussten das auch – obwohl sie keine Ahnung von der Bedeutung der Schwelle hatten. Statt seine Kameraden weiter mit Worten zu bearbeiten, pfefferte der Hübsche seinen Stein ab.
    Esmenet duckte sich und konnte dem Geschoss ausweichen, doch nun hockten auch die anderen am Boden und sammelten Munition.
    Sie fingen an, nach ihr zu werfen. Fluchend riss sie die Arme hoch. Ihr dicker Mantel ließ sie die Steine kaum spüren.
    »Ihr Arschlöcher!«, rief sie. Die Kinder hielten inne. Dieser Wutausbruch hatte sie eingeschüchtert, amüsierte sie aber auch. Einer der Jungen, ein kleines fettes Monster, lachte schallend los, als sie sich bückte, um selbst Steine zu sammeln. Ihr Wurf traf ihn direkt über der linken Braue, schlitzte ihm die Haut auf und ließ ihn heulend auf die Knie fallen. Die anderen sahen verblüfft drein. Es war Blut geflossen.
    Wieder hob sie die Rechte zum Wurf und hoffte, die Jungen würden sich ducken und wegrennen. Als Kind hatte sie sich am Kai Brot oder kleine Kupfermünzen damit verdient, Steine nach räuberischen Möwen zu werfen, und war darin sehr gut gewesen.
    Doch der Große war schneller und schleuderte ihr eine Handvoll Sand ins Gesicht. Das meiste ging daneben, doch ein paar Körner blendeten sie einen Moment lang. Sie wischte sich hektisch die Augen. Dann ließ ein Schlag aufs Ohr sie schwanken. Ein weiterer Stein traf sie mit voller Wucht an der Hand…
    Was war hier los?
    »Genug! Schluss jetzt!«, tönte eine heisere Stimme. »Was macht ihr Jungs denn da?«
    Das dicke Kind heulte noch immer. Esmenet kniff vor Schmerz die Lider zusammen und sah zwischen den Jungen einen alten Tempelpriester in fleckigem Ornat stehen und die Faust schwingen.
    »Wir steinigen sie!«, rief der halbwegs hübsche Anstifter. »Sie ist eine Hure!« Die Übrigen pflichteten ihm eifrig bei.
    Der alte Priester musterte die Jungen einen Moment finster und drehte sich dann zu ihr um. Jetzt konnte sie ihn deutlich erkennen – seine Leberflecke und die engherzige Körperhaltung eines Menschen, der mit seinem Fanatismus schon unendlich vielen Leuten böse eingeheizt hat. Seine Lippen waren vor Kälte fast blau.
    »Stimmt das?«
    Mit einem erschreckend starken Griff packte er ihre Hand und betrachtete ihre Tätowierung. Dann musterte er ihr Gesicht.
    »Bist du Priesterin?«, schnauzte er. »Eine Dienerin Gierras?«
    Sie sah, dass er die Antwort längst wusste und seine Frage nur dem miesen Bedürfnis diente, sie zu demütigen und zu belehren. Als sie in seine trüben Augen blickte, begriff sie plötzlich, in welcher Gefahr sie schwebte.
    Gütiger Sejenus…
    »Ja«, brachte sie hervor.
    »Lügnerin! Das ist ein Hurenmal!«, schrie er und drückte ihr die Tätowierung unter die Nase, als wollte er ihr die Hand in den Mund schieben. »Ein Hurenmal!«
    »Ich bin keine Hure mehr«, beteuerte

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