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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Angst.
    Die Nansur lernten anscheinend rasch: Für die Scharlachspitzen war jeder Anlass zum Misstrauen – ob es nur ein Schweißtropfen im Gesicht war oder der tagelange vertraute Umgang mit einem Fremden – gleichbedeutend mit Verrat. Und die Scharlachspitzen führte niemand hinters Licht.
    Doch all diese Aufgaben waren kaum mehr als Routine. Die ganze Zeit über dachte Achamian: Wenn ich das hier erledigt habe, Inrau, kümmere ich mich um dich…
    Dann hatte er all seine Aufgaben erledigt. Es gab niemanden mehr zu befragen oder zu beobachten. Es gab – von Maithanet abgesehen – nicht einmal mehr Verdächtige.
    Ihm blieb nichts übrig als zu warten.
    In den Berichten, die Achamian seinen Führungsoffizieren nach Atyersus sandte, verfolgte er natürlich energisch diese Spur oder jene Andeutung. Doch das war schlicht Teil der Pantomime, die alle – sogar Fanatiker wie Nautzera – aufführten. Sie waren wie Verhungernde, die sich Gras in den Mund stopften: Wenn man schon sterben musste, konnte man sich wenigstens die Illusion gönnen, etwas zu verdauen zu haben…
    Doch diesmal hatte die Illusion keine beruhigende, sondern eher eine krank machende Wirkung. Der Grund dafür schien offensichtlich: Inrau. Indem er in das Loch namens Rathgeber gestürzt war, hatte Inrau es erst so sichtbar gemacht, dass es nicht mehr zu kaschieren war.
    Also begann Achamian, auf Wege zu sinnen, seine Gefühle abzustumpfen oder wenigstens einige Selbstbezichtigungen zu verdrängen. Wenn Proyas erst gekommen ist, sagte er immer wieder zu seinem toten Schüler, wenn Proyas erst gekommen ist, kümmere ich mich um dich…
    Er begann, viel zu trinken, vor allem unverdünnten Wein; dazu Anpoi, wenn Xinemus besonders gut gelaunt war; und Yursa, einen scheußlichen Schnaps, den die Galeoth aus verfaulten Kartoffeln brannten. Er rauchte Opium und Haschisch, gab das Opium aber auf, als die Grenze zwischen Rausch und Seswatha-Träumen zusammensank.
    Er begann, die wenigen Klassiker aufs Neue zu lesen, die Xinemus mitgebracht hatte, lachte über die Dritte und die Vierte Analyse des Menschengeschlechts und begriff erstmals, dass der Philosoph Ajencis in diesen Werken einen ungemein feinen Sinn für Humor an den Tag gelegt hatte. Er runzelte über die Gedichte des Protathis die Stirn und fand sie manieriert, obwohl sie ihm vor zwanzig Jahren aus der Seele gesprochen hatten. Und er begann – wie schon oft – mit der Lektüre der Sagas, um sie einmal mehr nach ein paar Stunden beiseite zu legen. Entweder brachte ihre schwülstige Ungenauigkeit ihn so in Rage, dass er schnaufend und mit zitternden Händen dasaß, oder ihre Wahrheit ließ ihn weinen. Anscheinend musste er alle paar Jahre aufs Neue lernen, dass es einem Menschen, der die Apokalypse Nacht für Nacht träumt, unmöglich ist, Darstellungen dieser Katastrophe zu lesen.
    An manchen Tagen, wenn er zum Lesen zu unruhig war, streifte er durchs Lager und gelangte in Zeltlabyrinthe und auf hügelige Seitenwege, die vom Gros des Heiligen Kriegs so abgeschieden waren, dass Norsirai, denen er dort begegnete, ihn wegen seiner Haut offen als »Sahneschnitte« bezeichneten. Einmal hingegen jagten ihn fünf Männer aus Ce Tydonn mit Messern von ihrem kleinen Fleckchen Erde und riefen ihm dabei Beleidigungen und Verwünschungen nach. An anderen Tagen strich er durch Momemns Ziegelschluchten und kam auf diverse Plätze, zum alten Tempelviertel von Cmiral und einmal sogar bis an die Tore des Palastbezirks. Fast zwangsläufig landete er bei Huren, obwohl er sich nie erinnern konnte, bewusst nach ihnen gesucht zu haben. Er vergaß Gesichter, kümmerte sich nicht um Namen, genoss das selige Auf und Ab stöhnender Körper in vollen Zügen und begeisterte sich an der Schmierigkeit, mit der sich ungewaschene an verschwitzter Haut rieb. Danach kehrte er wieder zu seinem Zelt zurück und fühlte sich innerlich völlig leer.
    Wieder und wieder bemühte er sich sehr, nicht an Esmi zu denken.
    Normalerweise kam Xinemus abends zurück, und sie nahmen sich Zeit für ein paar Züge ihrer laufenden Partie Benjuka. Danach setzten sie sich ans Lagerfeuer des Marschalls und teilten sich ein herbes Getränk namens Perrapta, von dem die Leute aus Conriya hartnäckig behaupteten, es reinige den Gaumen für das Essen, während Achamian bedauerte, dass das Gebräu alles nach Fisch schmecken ließ. Dann aßen sie, was immer die Sklaven des Xinemus hatten auftreiben können. Manchmal stießen die Offiziere des Marschalls –

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