Schattenfall
wollten auf eigene Faust gegen die Heiden marschieren, um den gesamten Ruhm einzusacken. Beinahe hätte ich mich mit dem verflixten Kerl geprü…«
»Calmemunis ist losmarschiert?« Proyas fühlte sich wie betäubt. »Und der Kaiser hat ihn verproviantiert?«
»Aus meiner Sicht hat Calmemunis ihm keine Wahl gelassen. Er war schon immer gut darin, Leute aufzuwiegeln. Es lief letztlich auf die Alternative hinaus, ihm Lebensmittel zu geben und ihn damit loszuwerden oder einen offenen Krieg zu riskieren.«
»Den hätte der Tempelvorsteher ja wohl zu verhindern gewusst«, gab Proyas gereizt zurück. Er war offensichtlich nicht bereit, andere von der Mitverantwortung für dieses Verbrechen freizusprechen. »Calmemunis ist losmarschiert, und jetzt ist er tot? Soll das heißen…«
»Ja, mein Prinz«, antwortete Xinemus ernst. Er hatte die Ereignisse schon verdaut. »Die erste Schlacht des Heiligen Kriegs ist katastrophal ausgegangen. Alle sind gefallen: Istratmenni, Gedapharus – alle Wanderbarone von Kanampurea und ungezählte Tausende mit ihnen sind auf den Ebenen von Mengedda von den Heiden vernichtet worden. Soweit ich weiß, haben nur ungefähr dreißig Galeoth aus Tharschilkas Trupp überlebt.«
Aber wie war das möglich? Wie hatte der Heilige Krieg besiegt werden können?
»Nur dreißig… Wie viele sind denn losmarschiert?«
»Über hunderttausend – die gesamte Vorhut aus Galeoth und Ainon und all die Scharen, die Momemn bald nach dem Aufruf des Tempelvorstehers, sich hier zum Heiligen Krieg zu sammeln, massenweise heimgesucht haben.«
Das grollende Donnern und Zischen der Brandung erfüllte die Stille. Der Heilige Krieg – oder doch ein großer Teil davon – war niedergemetzelt worden. Sind wir verloren? Sind die Heiden wirklich so stark?
»Was sagt der Tempelvorsteher dazu?«, fragte Proyas in der Hoffnung, seine bösen Vorahnungen zum Schweigen zu bringen.
»Von ihm ist kein Wort zu hören. Gotian sagt, er habe sich in Klausur begeben, um die verlorenen Seelen von Mengedda zu betrauern. Aber es gibt Gerüchte, er habe Angst bekommen, der Heilige Krieg könne die Heiden nicht besiegen, und warte nun auf ein Zeichen Gottes, das bisher aber ausgeblieben ist.«
»Und der Kaiser? Was sagt der?«
»Er hat von Anfang an behauptet, die Männer des Stoßzahns würden die Kampfkraft der Heiden unterschätzen. Er betrauert den Untergang des Gemeinen Heiligen Kriegs…«
»Den Untergang wovon, bitte?«
»So nennt man diesen Feldzug inzwischen… Wegen all des Pöbels, der mitgezogen ist.«
Diese Erklärung löste in Proyas schmähliche Erleichterung aus. Als unübersehbar wurde, dass der gesellschaftliche Abschaum – alte Männer, Frauen, sogar Waisen – dem Aufruf zum Heiligen Krieg scharenweise folgte, hatte Proyas nämlich befürchtet, der Feldzug würde zur Völkerwanderung verkommen.
»Offiziell trauert der Kaiser zwar«, fuhr Xinemus fort, »hält ansonsten aber daran fest, kein Krieg gegen die Heiden – ob ›heilig‹ oder nicht – könne erfolgreich sein, solange sein Neffe Conphas ihn nicht befehlige. Der Mann mag Kaiser sein: Vor allem ist er ein Gierschlund.«
Proyas nickte und begriff endlich das ganze Ausmaß der Ereignisse. »Und ich vermute, er verlangt für den Einsatz des großen Ikurei Conphas nur eine Gegenleistung: die Anerkennung seines berüchtigten Vertrags, stimmt’s? Calmemunis, dieser Schuft, hat uns alle verkauft.«
»Ich hab’s ja versucht, mein Prinz… Ich hab wirklich versucht, den Statthalter zurückzuhalten. Aber ich hatte weder die Befehlsgewalt, ihn zum Bleiben zu zwingen, noch das Geschick, ihn davon zu überzeugen, dass sein Aufbruch ihn ins Verderben führen würde!«
»Kein Narr ist vernünftigen Argumenten zugänglich. Und dass du nicht befugt warst, ihn zurückzuhalten, kann dir niemand vorwerfen. Calmemunis war ein überheblicher, aufbrausender Kerl. Kaum stand er einmal nicht unter der Fuchtel seiner Vorgesetzten, hat er sich gleich für etwas Besonderes gehalten und sich damit ins Verderben geritten. So einfach ist das, Xin.«
Aber ganz so einfach war es nicht, und das wusste Proyas auch. Der Kaiser hatte in dieser Sache die Hand im Spiel – dessen war er sich sicher.
»Aber trotzdem«, wandte Xinemus ein, »werde ich das Gefühl nicht los, ich hätte mehr tun können.«
Proyas zuckte die Achseln. »Ach, Xin – ›Ich hätte mehr tun können‹ ist ein Satz, der die Crux des Menschseins und den Abstand des Menschen zu Gott bezeichnet.« Er
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