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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Logos sei Dank – den kürzesten Weg dorthin.
    »Es tut mir leid«, meinte er zögernd. »Was ich gesagt habe, war unangebracht.«
    Der Scylvendi schnaubte verächtlich.
    Er weiß, dass ich lüge… Gut so.
    Cnaiür sah ihn unverblümt an, und in seinen tiefliegenden Augen spiegelte sich wütende Ablehnung.
    »Erzähl mir doch mal, Dûnyain, wie man die Gedanken eines anderen so mühelos lenkt wie ein Pferd.«
    »Was soll das denn heißen?«, fragte Kellhus scharf, als sei er drauf und dran, Cnaiürs Aufforderung als Beleidigung zu verstehen. Die Sprache der Scylvendi kannte viele feine Modulationen, die sich bei Mann und Frau grundlegend unterschieden. Indem Cnaiür den Dûnyain nur mit seinen Frauen hatte Umgang haben lassen, hatte er ihm – ohne sich dessen bewusst zu sein – wichtige Studienobjekte vorenthalten.
    »Selbst jetzt«, schnauzte Cnaiür, »versuchst du, mich zu manipulieren!«
    Das leichte Hämmern seines Herzens. Sein unterschwelliges Erröten. Er ist noch unentschieden.
    »Du glaubst offenbar, mein Vater hätte dich manipuliert.«
    »Dein Vater hat mich mani…« Cnaiür unterbrach sich mit erschrocken geweiteten Augen. »Das hast du nur gesagt, um mich in die Irre zu führen! Um meiner Frage auszuweichen!«
    Bisher hatte Kellhus jede Wendung, die die Gedanken des Scylvendi genommen hatten, richtig vorhergesehen. Cnaiürs Reaktionen folgten einem deutlichen Muster: Er stürzte sich stets impulsiv auf die Themen, die Kellhus anschlug, schrak dann aber rasch zurück. Solange die Unterhaltung dieses Muster beibehielte, würde der Häuptling sich in Sicherheit glauben.
    Wie aber sollte Kellhus vorgehen?
    Wahrheit ist die beste Täuschung.
    »Eines gilt für alle Menschen, die ich kennengelernt habe«, meinte der Dûnyain schließlich. »Ich verstehe sie besser als sie sich selbst.«
    Sein Begleiter zuckte zurück wie einer, dem man eine schlimme Befürchtung bestätigt hat. »Aber wie ist das möglich?«
    »Dadurch, dass ich auf ganz eigene Weise erzogen und ausgebildet wurde und ein Erwählter bin – ein Dûnyain.«
    Die Pferde trabten mühelos durch das flache Flüsschen. Cnaiür lehnte sich zur Seite und spuckte ins Wasser. »Das ist schon wieder eine Antwort, die keine ist«, schnauzte er.
    Konnte er ihm die Wahrheit sagen? Die ganze Wahrheit jedenfalls nicht.
    Mit gespieltem Zögern begann Kellhus: »Ihr alle – deine Stammesbrüder, Frauen und Kinder und sogar deine Feinde auf der anderen Seite des Gebirges –, ihr vermögt die wahren Ursachen eurer Gedanken und Taten nicht zu erkennen. Entweder meint ihr, ihr wäret selbst darauf gekommen, oder ihr glaubt, die Ursachen seien nicht von dieser Welt, sondern würden aus dem ›Jenseits‹ stammen. Was aus der Vergangenheit auf euch überkommen ist und eure Gedanken und Taten wirklich bestimmt, überseht ihr entweder völlig oder schreibt es mal bösen Geistern, mal Göttern zu.«
    Kellhus sah, dass Cnaiür die Zähne zusammenbiss und den undurchdringlichen Blick eines Menschen bekam, der mit unerwünschten Erinnerungen konfrontiert wird. Also hat mein Vater ihm schon von diesen Dingen erzählt …
    »Das Überkommene bestimmt die Zukunft«, fuhr Kellhus fort. »Das ist das oberste Gesetz der Dunyain.«
    »Und was, bitte, ist das Überkommene?«, fragte Cnaiür und zwang sich ein höhnisches Lächeln ab.
    »Was den Menschen betrifft: Geschichte, Sprache, Triebe, Traditionen. Sie bestimmen, was er sagt, denkt und tut. Sie sind die verborgenen Marionettenfäden, an denen er hängt.«
    Cnaiür atmete flach. Seine Miene zeigte deutlich, wie sehr diese unwillkommenen Einsichten an ihm zehrten. »Und wenn man diese Fäden zu sehen bekommt…«
    »… kann man seine Mitmenschen womöglich zu packen kriegen.«
    Für sich betrachtet war dieses Eingeständnis harmlos, denn in der einen oder anderen Art versucht jeder, seine Mitmenschen zu manipulieren. Nur in Verbindung mit Einsichten in Kellhus’ Fähigkeiten konnte es sich als bedrohlich erweisen.
    Wenn er wüsste, wie genau ich die Menschen durchschaue…
    Wie sehr würden normale Erdenbürger erschrecken, wenn sie sich mit den Augen eines Dûnyain betrachten würden! All ihre Illusionen und Verrücktheiten! All das Krankhafte!
    Kellhus sah keine Gesichter, sondern vierundvierzig Muskeln und die tausendfachen Veränderungen, die diese Muskeln in der Miene des Menschen bewirken – Veränderungen, die für ihn wie ein zweiter Mund waren: so lärmend wie der erste, aber viel ehrlicher. Er hörte nicht

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