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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Menschen reden, sondern er hörte das Tier im Menschen heulen, das Wimmern des geschlagenen Kindes und den Chor der vorausgegangenen Generationen. Er sah nicht Menschen, er sah Ursache und Wirkung und die in hoffnungslosem Irrglauben befangene Nachkommenschaft einzelner Familien, kleiner Stämme und ganzer Zivilisationen.
    Er sah nicht, was in Zukunft sein würde. Er sah, was aus der Vergangenheit überkommen war.
    Sie ritten durch die jungen Bäume am gegenüberliegenden Ufer des Flüsschens und wichen dabei Ästen aus, die schon das erste Frühlingsgrün sehen ließen.
    »Schwachsinn«, meinte Cnaiür. »Das glaub ich dir nicht…«
    Kellhus schwieg und lenkte sein Pferd durch die dichten, Ross und Reiter streifenden Äste. Er wusste, wie dieser Scylvendi dachte und zu welchen Schlüssen er kommen würde – sofern es ihm gelänge, seinen Zorn zu vergessen.
    »Wenn kein Mensch die Ursprünge seines Denkens kennt…«, begann Cnaiür.
    Um endlich aus dem Unterholz zu kommen, galoppierten die Pferde auf den letzten Metern, die sie noch von der offenen, sich bis zum Horizont erstreckenden Prärie trennten.
    »… dann leben alle in einem Meer des Irrtums«, beendete er seinen Satz.
    Kellhus blickte seinem Begleiter einen entscheidenden Moment lang in die Augen. »Sie handeln aus Motiven, die nicht die ihren sind.«
    Wird er es begreifen?
    »Wie Sklaven…«, begann Cnaiür mit einem so erstaunten wie finsteren Gesichtsausdruck. Dann wurde ihm bewusst, wen er da ansah. »Aber das sagst du nur, um dich zu entlasten! Was macht es schon, Sklaven ein weiteres Mal zu versklaven, stimmt’s, Dunyain?«
    »Stimmt – was macht es schon, Menschen zu versklaven, die nicht erkennen, was überkommen ist, und deshalb noch immer Gefangene ihrer Illusionen sind?«
    »Aber das ist doch Täuschung! Bösartige Verführung! Unehrenhaft ist das!«
    »Und du hast deine Gegner auf dem Schlachtfeld nie getäuscht und nie jemanden versklavt?«
    Cnaiür musterte den Dunyain zornig. »Meine Feinde hätten mir das Gleiche angetan. Das ist für jeden Krieger eine ausgemachte Sache – und ehrenwert. Doch mit dem, was du tust, Dunyain, machst du dir jeden zum Feind.«
    Ganz schön scharfsinnig!
    »Ach ja? Oder werden dadurch alle zu meinen Kindern? Welcher Vater gibt in seinem Zelt nicht den Ton an?«
    Zunächst fürchtete Kellhus, er habe sich zu vage ausgedrückt, doch dann antwortete Cnaiür: »Dann sind wir also in deinen Augen Kinder?«
    »Hat mein Vater dich etwa nicht zu seinem Werkzeug gemacht?«
    »Beantworte meine Frage!«
    »Ob ihr in unseren Augen Kinder seid? Natürlich! Hätte mein Vater dich sonst so leicht für seine Zwecke einspannen können?«
    »Du lügst mir doch was vor!«
    »Warum hast du dann solche Angst vor mir, Häuptling?«
    »Schluss jetzt!«
    »Du bist ein sensibles Kind gewesen, stimmt’s? Du hast schnell geweint und bist schon zurückgezuckt, wenn Vater nur die Hand gehoben hat… Was meinst du wohl, woher ich das weiß?«
    »Ganz einfach – das gilt nun mal für jedes Kind.«
    »Von deinen Frauen schätzt du Anissi nicht deshalb am meisten, weil sie die Schönste ist, sondern weil nur sie deine sadistischen Neigungen erträgt und dich trotzdem liebt. Weil nur sie…«
    »Das hast du von ihr! Das hat sie dir erzählt!«
    »Du bist ganz versessen auf heikle Sexualpraktiken, auf…«
    »Schluss, hab ich gesagt!«
    Seit Jahrtausenden waren die Dunyain darin ausgebildet, das Überkommene aufzudecken. Wo sie auftauchten, gab es keine Geheimnisse und keine Lügen.
    Wie viele Schwächen mochte dieser Scylvendi besitzen? Wie viel Schuld mochte er auf sich geladen, wie viele fleischliche Sünden begangen haben? All diese Verfehlungen waren unaussprechlich. Doch welche Scham sie auch hätten erregen, zu wie viel endloser Selbstbezichtigung sie hätten Anlass geben können – Cnaiür hatte es fertiggebracht, all diese Widerwärtigkeiten zu verdrängen.
    Aber wie dem auch sei – entweder würde der Scylvendi sein Misstrauen aufgeben und Kellhus für einen bloßen Scharlatan halten, den er nicht zu fürchten brauchte, oder er würde die übersinnlichen Fähigkeiten des Dûnyain anerkennen und sich auf dessen Territorium vorwagen. Egal, wofür der Häuptling sich entscheiden würde – beides wäre der Mission des Dûnyain dienlich. Cnaiür würde letztlich eine berechenbare Haltung ihm gegenüber einnehmen. Fraglich war nur noch, ob er sich für Verachtung oder für Zuneigung entscheiden würde.
    Der Scylvendi hätte ihn

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