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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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endlich einmal hinter die wissende Maske zu blicken, die er im Gesicht trug. Kellhus war zunehmend beunruhigt darüber, wie clever die unausgesprochenen Vermutungen des Scylvendi waren. Der Mann wusste sogar, dass er vorhatte, ihn umzubringen…
    Dann bekam Cnaiürs Miene einen merkwürdigen Zug. Er deutete auf eine Erkenntnis hin, der eine übernatürliche Angst folgte, deren Ursprung sich Kellhus entzog.
    »Die Inrithi sammeln sich, um die Fanim zu bestrafen«, sagte Cnaiür. »Und um das verlorene Heilige Land zurückzugewinnen.« In seiner Stimme lag ein gewisser Ekel. Als ob ein Ort heilig sein könnte… »Sie wollen Shimeh wiedererobern.«
    Shimeh… Dort lebt mein Vater.
    Noch eine bedeutungsvolle Übereinstimmung. Welche Auswirkungen mochte sie auf seine Mission haben? Hast du mich deshalb gerufen, Vater? Wegen des Heiligen Kriegs?
    Der Scylvendi hatte sich abgewandt, um die Frau am Feuer zu betrachten.
    »Wie heißt sie?«, fragte Kellhus.
    »Ich hab sie nicht gefragt«, gab Cnaiür zurück und nahm sich noch ein Stück Pferdefleisch.
     
     
    Die hinter ihr verglimmenden Kohlen des Lagerfeuers warfen einen schwachen Schein, der Serwës Körper im Gegenlicht umrisshaft beleuchtete. Die junge Frau nahm das Messer, mit dem die beiden Männer das Pferd geschlachtet hatten, und schlich leise zum Scylvendi hinüber, der fest eingeschlafen war und gleichmäßig atmete. Mit zitternden Fäusten hob sie die Waffe, wollte schon zustechen, zögerte dann aber… und dachte an seine Hände, seine Augen.
    Mit irrem Blick hatte er durch sie hindurchgestarrt, als wäre sie aus Glas – ein durchsichtiges Behältnis, nur dazu da, seine Geilheit zu befriedigen.
    Und dann die heisere Stimme, mit der er ihr zugeraunt hatte: »Wenn du gehst, dann jage ich dich, Mädchen. Und ich finde dich – das ist so sicher wie der Sonnenaufgang… Und dann kriegst du eine Abreibung, wie du sie nie bekommen hast…«
    Serwë kniff die Augen fest zu. Los, stich zu! Stich doch zu!
    Das Messer begann, aus ihren Fingern zu rutschen…
    … doch eine schwielige Hand sorgte dafür, dass es ihr nicht entglitt.
    Eine zweite Hand hielt ihr den Mund zu und erstickte ihren Schrei.
    Mit tränennassen Augen erkannte sie den Umriss des anderen Mannes – des Norsirai mit dem Vollbart. Er schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf.
    Dann zwickte er sie kurz, und prompt ließen ihre tauben Finger das Messer los. Er fing es auf, bevor es den Scylvendi traf. Sie merkte, dass sie hochgehoben und zurück auf die andere Seite des glimmenden Lagerfeuers getragen wurde.
    Im Licht konnte sie seine Gesichtszüge erkennen. Sie wirkten traurig, aber liebevoll. Er schüttelte noch mal den Kopf, und seine dunklen Augen waren voll Sorge, ja Empfindsamkeit. Er nahm die Hand langsam von ihren Lippen und legte sie auf seine Brust.
    »Kellhus«, flüsterte er und nickte dann.
    Sie legte die Hände ineinander und sah ihn schweigend an. »Serwë«, gab sie schließlich ebenso gedämpft zurück. Heiße Tränen strömten ihr über die Wangen.
    »Serwë«, wiederholte er sanft, streckte die Hand aus, um sie zu berühren, zögerte aber und zog sie zurück. Dann nestelte er kurz hinter sich im Dunkeln herum und kramte eine Wolldecke hervor, die vom Feuer noch warm war.
    Sie nahm die Decke und war sprachlos vor Überraschung. Das schwache Glitzern des Mondes in seinen Augen schlug sie in Bann. Er aber wandte sich ab und streckte sich wieder auf seinem Lager aus.
    Unter leisem, kummervollem Schluchzen schlief sie ein.
     
     
    Angst.
    Es war Angst, die ihr die Tage zur Hölle machte und sie auch im Schlaf verfolgte; die ihre Gedanken trübte und sie von einer Schreckensvision zur anderen taumeln ließ; die ihren Magen flattern, die Hände ständig zittern und die Miene ganz unbeteiligt wirken ließ, um nur nicht schon durch ein skeptisches Stirnrunzeln ein Donnerwetter losbrechen zu lassen.
    Erst hatte sie die Munuäti ertragen müssen, jetzt diesen viel dunkler und bedrohlicher wirkenden Scylvendi, dessen Glieder sie an Wurzeln erinnerten, die sich ins Gestein gekrallt hatten, dessen Worte wie rollender Donner waren und in dessen eisigen Augen blanke Mordlust stand. Sie hatte ihm sofort und unbedingt zu gehorchen – auch dann, wenn er nicht aussprach, wonach ihm der Sinn stand. Und sie wurde selbst für Dinge, die sie nicht getan hatte oder für die sie nichts konnte, schlimm bestraft. Mal dafür, zu laut geatmet zu haben, mal für ihre Regelblutung, dann allein für ihre

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