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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Frau des Barastas schreien. »Komm zurück, du geile Sau! Du gehörst mir! Mir! Du altes Dreckstück! Komm gefälligst zurück!«
    Jedes Wort traf Serwë wie ein Faustschlag, ließ sie zugleich aber eigentümlich kalt und war sofort vergessen. Sie sah, wie die Frau des Barastas auf die Pferde zukam und dabei verwirrt mit den Armen ruderte. Der Scylvendi riss sein Tier herum, nahm den Bogen aus dem Futteral, legte einen Pfeil ein und schoss ihn lässig ab.
    Das Geschoss traf die Adlige in den Mund, zerschlug ihr die Zähne und blieb im Rachen stecken. Sie fiel wie eine Puppe vornüber und krachte zwischen Goldruten ins Gras. Der Scylvendi seufzte beifällig und führte seine Begleiter tiefer ins Gebirge hinein.
    Serwë schmeckte Tränen.
    Das alles ist gar nicht wahr, dachte sie. Niemand muss solche Qualen erleiden. Nicht in der Wirklichkeit …
    Sie fürchtete, sich vor Angst übergeben zu müssen.
    Das Hethanta-Gebirge ragte mächtig vor ihnen auf. Die drei überwanden steile Granithänge, kämpften sich durch enge Schluchten und kamen an Felswänden aus Sedimentgestein vorbei, die gespickt voller merkwürdiger Fossilien waren. Meist folgte ihr Pfad einem schmalen Bach, an dessen Ufern Fichten und verkümmerte Schraubenbaumgewächse standen. Je höher sie kamen, desto kühler wurde es, und schließlich hatten sie sogar die Vegetationszone der Moose hinter sich gelassen. Holz für ihr Lagerfeuer hatten sie seit Tagen nicht mehr gefunden, und die Nächte waren bitterkalt. Zweimal erwachten sie morgens unter einer Schneedecke.
    Bei Tag ging der Scylvendi mit seinem Pony allein voraus und sprach nur selten mit den anderen. Serwë ging in der Mitte, dicht gefolgt von Kellhus. Sie stellte fest, dass etwas an seinem Auftreten sie immer wieder dazu brachte, mit ihm zu reden. Seine bloße Anwesenheit schien ein Gefühl von Nähe und Vertrautheit zu schaffen. Wenn er sie ansah, hatte sie den Eindruck, der Boden vor ihren Füßen wäre nicht mehr so zerklüftet wie zuvor. Sie erzählte ihm von ihrem Leben als Konkubine in Nansur und von ihrem Vater, einem Nymbricani, der sie ans Haus Gaunum verkauft hatte, als sie gerade vierzehn Jahre alt geworden war. Sie beschrieb ihm, wie eifersüchtig die Frauen in diesem Haus aufeinander gewesen waren und wie sie sie bei ihrem ersten Kind belogen hatten. Tot sei es zur Welt gekommen, hatten sie behauptet, doch Griasa, eine alte Sklavin aus Shigek, hatte gesehen, wie sie das Neugeborene in der Küche erwürgt hatten. »Blau angelaufene Babys«, hatte die Alte ihr so empört ins Ohr geflüstert, dass sie kaum ein Wort hervorzubringen vermochte, »blaue Babys – etwas anderes wirst du nicht zur Welt bringen, Kind.« Dieser Satz – so berichtete Serwë nun Kellhus – habe sich zum geflügelten Wort entwickelt und sei bald eine makabre Bemerkung gewesen, die alle Mitglieder des Haushalts gern anbrachten, vor allem jene Konkubinen oder Sklavinnen, die das Glück hatten, von ihren Herren regelmäßig besucht zu werden. Wir schenken ihnen blaue Babys… Blau wie die Priester von Jukan.
    Erst sprach sie mit ihm, wie sie als Kind mit den Pferden ihres Vaters gesprochen hatte – gedankenlos wie jemand, dessen Worte gehört, aber nicht verstanden werden. Bald aber merkte sie, dass er sie tatsächlich verstand. Nach drei Tagen begann er, auf Scheyisch Fragen zu stellen, also in einer schweren Sprache, die sie erst nach Jahren der Gefangenschaft in Nansur beherrscht hatte. Seine Fragen fesselten sie, und sie wollte sie unbedingt richtig beantworten. Und dazu seine Stimme! Tief und weindunkel wie das Meer! Und wie er ihren Namen aussprach! Als wäre er eifersüchtig auf seinen Klang. Serwë – wie eine Zauberformel hörte sich das an. In nur wenigen Tagen wandelte sich ihre vorsichtige Zuneigung in blanke Ehrfurcht.
    Bei Nacht aber gehörte sie dem Scylvendi.
    Das Verhältnis der beiden Männer zueinander blieb ihr ein Rätsel, obwohl sie oft darüber nachdachte und ihr klar war, dass sich ihr eigenes Schicksal irgendwie zwischen den beiden entschied. Erst nahm sie an, Kellhus sei Sklave des Scylvendi, doch dem war nicht so. Schließlich begriff sie, dass Cnaiür den Norsirai hasste, ihn sogar fürchtete. Er verhielt sich ihm gegenüber, als wollte er sich vor ritueller Verunreinigung schützen.
    Zunächst begeisterte sie diese Erkenntnis. Du hast Angst! rief sie oft im Geiste hinter seinem Rücken. Du bist genau wie ich! Du bist mir keinen Deut überlegen!
    Dann aber begann sie genau dies zu

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