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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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aufragte.
    »Zieh, hab ich gesagt!«
    Geshrunni zögerte.
    Der nächste Schlag schickte ihn auf die Knie.
    »Was bist du für ein Wesen?«, rief der Sklave mit blutigen Lippen.
    Während der Umriss des Dicken immer näher kam und es schien, als wollte er ihn verschlucken, sah Geshrunni noch, wie die Gesichtszüge seines Angreifers kurz entgleisten, dann aber hart wurden wie der Griff eines Bettlers, der eine Silbermünze ergattert hat. Hexerei! Aber wie ist das möglich? Er hat doch ein Chorum in der Hand…
    »Ich bin unvorstellbar alt«, antwortete das abscheuliche Wesen. »Und unglaublich schön.«
     
     
    Ein Mann, der längst tot war, lebte in den Mitgliedern der Mandati fort: Seswatha, der große Gegenspieler des Nicht-Gottes und Gründer des letzten gnostischen Ordens, ihres Ordens. Tagsüber war er nur vage präsent und verschwommen wie eine Kindheitserinnerung, doch bei Nacht ergriff er von ihnen Besitz, und die Tragödie seines Lebens beherrschte ihre Träume gebieterisch.
    Ihre umwölkten Träume, die gezückten Schwertern ähnelten.
    Achamian sah Anasûrimbor Celmomas, den letzten König von Kûniüri, unter dem Hammerschlag eines jaulenden Sranc-Häuptlings zu Boden stürzen. Obwohl er aufschrie, war ihm mit dem merkwürdigen Halbbewusstsein des Träumenden klar, dass der bedeutendste König der Anasûrimbor-Dynastie tot war – und das schon seit über zweitausend Jahren. Und er wusste auch, dass nicht er selbst es war, der da schrie, sondern ein viel Größerer: Seswatha.
    Eine Zauberformel kam ihm über die Lippen, und der Sranc-Häuptling schlug im lodernden Feuer um sich, brach schließlich zusammen und verbrannte zu einem Klumpen Asche. Weitere Sranc kamen über den Bergrücken gefegt, und auch sie starben durch die unheimlichen Blitze, die er mit seiner Beschwörung herbeizog. Dahinter sah er in der Ferne kurz einen Drachen, der in der untergehenden Sonne wie eine Bronzefigur über dem Schlachtfeld hing, auf dem die Sranc und die Menschen gegeneinander angetreten waren, und er dachte: Der letzte König der Anasûrimbor-Dynastie ist gefallen. Kûniüri ist verloren.
    Die großgewachsenen Ritter von Trysë sammelten sich um ihn, riefen den Namen ihres Königs, setzten über die Sranc hinweg, die er mit seinen Blitzen zu Asche gemacht hatte, und stürzten sich wie Berserker auf die vielen Gegner, die weiter über den Bergrücken gerannt kamen. Mit einem Ritter, den er nicht kannte, schleppte Achamian den König zwischen verzweifelt klagenden Vasallen und Verwandten hindurch. Ringsum roch es nach Blut, Gedärm und verkohltem Fleisch. Auf einer kleinen Lichtung zog Achamian den todwunden König vorsichtig zu sich heran und richtete ihn in seinem Schoß halb auf.
    Der graubärtige Celmomas, dessen blaue Augen normalerweise eiskalt waren, sah ihn flehentlich an. »Lass mich allein«, keuchte er.
    »Nein«, gab Achamian zurück. »Wenn Ihr sterbt, ist alles verloren.«
    Der König brachte trotz seiner arg blessierten Lippen ein Lächeln zuwege. »Siehst du die Sonne? Siehst du sie lodern, Seswatha?«
    »Sie geht unter«, antwortete Achamian.
    »Die Nacht des Nicht-Gottes ist nicht allumfassend. Noch sehen uns die Götter, mein Freund. Sie sind fern, doch ich höre sie im Galopp über den Himmel reiten. Und ich höre sie nach mir rufen.«
    »Ihr dürft nicht sterben, Celmomas! Auf keinen Fall!«
    Der König schüttelte den Kopf und hieß Achamian mit einem erschreckend sanften Blick schweigen. »Sie rufen mich. Sie sagen, mein Tod bedeute nicht das Ende der Welt. Die Last dieser Gleichzeitigkeit, so sagen sie, liegt auf deinen Schultern, Seswatha.«
    »Nein«, flüsterte Achamian.
    »Siehst du die Sonne? Spürst du sie auf den Wangen? Die größten Offenbarungen sind oft in den einfachsten Dingen verborgen. Jetzt begreife ich das. Jetzt begreife ich, was für ein sturer, verbitterter Narr ich war. Und ich bin ungerecht zu dir gewesen – mehr als zu allen anderen. Kannst du einem alten Mann verzeihen? Einem dummen alten Mann?«
    »Es gibt nichts zu verzeihen, Celmomas. Ihr habt viel erlitten, viel verloren.«
    »Mein Sohn… – glaubst du, er wird da sein, Seswatha? Meinst du, er wird in mir den Vater erkennen?«
    »Ja… den Vater und den König.«
    »Hab ich dir je erzählt«, begann Celmomas, und in seiner brechenden Stimme lag ein verzweifelter Stolz, »dass mein Sohn sich einmal in die tiefsten Tiefen von Golgotterath gestohlen hat?«
    »Ja.« Achamian lächelte unter Tränen. »Das habt Ihr mir oft

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