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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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sie ihn flüstern. »Ich weiß es ja…«
    Aber Esmenet war sich da nicht so sicher.
     
     
    Der Hexenmeister traf sich mit Proyas zur verabredeten Zeit auf einem Hügel, von dem aus sich das schmutzige und verwahrloste Heerlager des Heiligen Kriegs in seiner ganzen Ausdehnung übersehen ließ. Im Osten ging die glühende Sonne hinter den weit auseinandergezogenen Mauern und Türmen Momemns wie ein riesiges Stück Kohle auf.
    Proyas schloss die Augen und genoss die schwache Morgenhitze. Heute, dachte und betete er zugleich, heute ändert sich alles. Wenn die Berichte stimmen sollten, war die endlose Debatte, wer das Heer anführen würde, endlich vorbei, und er hatte seinen Löwen.
    Er wandte sich an Achamian: »Überwältigend, oder?«
    »Was? Das Heerlager oder meine Einladung hierher?«
    Proyas fühlte sich durch diese Frage gerügt und ärgerte sich über Achamians Respektlosigkeit. Als der Kronprinz sich Stunden zuvor auf seinem Feldbett hin- und hergewälzt hatte, war ihm klargeworden, dass er den Hexenmeister brauchte. Erst hatte sein Stolz sich dagegen gewehrt, denn seine Worte in der Woche zuvor waren schließlich so endgültig gewesen wie nur möglich: Ich will dich nicht wieder sehen. Niemals, hatte er dem Hexenmeister immerhin entgegengedonnert. Diesen Satz nun zu bereuen, nur weil er Achamian brauchte, schien ihm niederträchtig. Aber musste er seine Worte überhaupt erst bereuen, um sich über sie hinwegzusetzen?
    »Das Heerlager natürlich«, gab er lässig zurück. »Meine Schreiber haben mir berichtet, mehr als…«
    »Ich muss Hunderten von Gerüchten nachgehen, Proyas«, unterbrach ihn der Ordensmann. »Erspart mir also bitte die Nettigkeiten des Jnan und sagt mir einfach, was Ihr wollt.«
    Achamian war morgens in aller Regel kurz angebunden. Proyas hatte immer vermutet, das sei auf seine Träume zurückzuführen. Doch diesmal lag noch etwas anderes in seinem Ton – etwas, das schon an Hass grenzte.
    »Ich kann deine Verbitterung verstehen, Akka, aber du wirst dich meinem Rang beugen müssen. Ein Schwur bindet die Mandati ans Haus Nersei, und wenn es nötig ist, werde ich mich auf ihn berufen.«
    Achamian betrachtete ihn forschend. »Warum, Prosha?«, fragte er, sprach den Kronprinzen also – wie zu Zeiten, da er noch sein Lehrer gewesen war – mit einer Koseform seines Namens an. »Warum tut Ihr das?«
    Da der Prinz auf diese Frage hin nur Dinge hätte sagen können, die Achamian schon wusste, oder Dinge, die zu hören er nicht hätte ertragen können, antwortete er barsch: »Es steht dir nicht zu, mich zu befragen, Ordensmann.«
    »Alle, selbst Prinzen, müssen sich der Vernunft stellen. Erst verbannt Ihr mich für immer aus Eurer Gegenwart, und kaum eine Woche später lasst Ihr mich wieder kommen – da werde ich ja wohl fragen dürfen.«
    »Ich habe nicht dich kommen lassen!«, rief Proyas. »Ich habe jemanden vom Orden der Mandati einbestellt, und zwar gemäß dem Vertrag, den mein Vater mit dem Orden geschlossen hat. Entweder hältst du dich an dieses Abkommen, oder du brichst es. Die Wahl liegt bei dir, Drusas Achamian.«
    Nicht heute. Heute würde er sich nicht in diesen Morast ziehen lassen! Nicht, wenn alles drauf und dran war, sich zu ändern… Vielleicht.
    Doch Achamian hatte offensichtlich seine eigenen Vorstellungen. »Wisst Ihr«, meinte er nun, »ich habe über das nachgedacht, was Ihr mir letzte Woche gesagt habt – eigentlich habe ich die ganze Zeit kaum etwas anderes getan.«
    »Und?«
    Bitte, Achamian, lass uns darüber ein andermal sprechen!
    »Es gibt einen Glauben, der weiß, dass er Glaube ist, Proyas, und es gibt einen Glauben, der sich im Besitz der Wahrheit glaubt. Die erste Art Glaube akzeptiert die Ungewissheit, erkennt die Unergründlichkeit Gottes und führt zu Mitgefühl und Duldsamkeit. Denn wer kann schon mit Feuer und Flamme verdammen, ohne sich rückhaltlos im Besitz der Wahrheit zu glauben? Doch die zweite Art, Proyas, setzt auf Gewissheit und hat für Gottes Rätselhaftigkeit nur Lippenbekenntnisse übrig. Diese Art Glaube führt zu Unduldsamkeit, Hass, Gewalt…«
    Proyas zog ein finsteres Gesicht. Warum gab dieser Kerl einfach nicht klein bei? »Und vermutlich auch zu Schülern, die ihre alten Lehrer verstoßen, was, Achamian?«
    Der Hexenmeister nickte. »Und zu Heiligen Kriegen…«
    Etwas an dieser Antwort verunsicherte Proyas und drohte, Ängste, die ihn ohnehin beunruhigten, noch weiter zu schüren. Nur die Früchte seines Studiums retteten ihn vor

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