Schattenfall
gebadet und ihre Lumpen gegen Kleidung aus der persönlichen Garderobe des Prinzen getauscht. Beim Näherkommen war Achamian von der Schönheit der Frau, die bei ihrer Ankunft wie ein herrenloses, von allen getretenes Tier gewirkt hatte, wie gebannt.
Beide beobachteten seine Ankunft, und das Feuer ließ ihre Gesichter hell leuchten.
»Ihr müsst Drusas Achamian sein«, meinte der Prinz von Atrithau.
»Proyas hat Euch offenbar vor mir gewarnt.«
Der Mann lächelte verständnisvoll, nein: weit mehr als nur verständnisvoll. So ein Lächeln hatte Achamian noch nie gesehen. Es deutete auf ein Verständnis hin, das erheblich weiter reichte, als er verstanden werden wollte.
Dann begriff er plötzlich.
Ich kenne diesen Mann.
Aber wie erkennt man jemanden wieder, den man nie getroffen hat – mal abgesehen von Ähnlichkeiten mit nahen Verwandten…? Vor seinem inneren Auge huschten Bilder seines jüngsten Traums vorbei, in dem er einmal mehr den toten Anasûrimbor Celmomas auf dem Schoß liegen gehabt hatte. Die Ähnlichkeiten waren unverkennbar: die Furche zwischen den Brauen, die hohlen Wangen, die tiefliegenden Augen.
Er ist tatsächlich ein Anasûrimbor. Aber das ist doch unmöglich…
Und doch schienen sich gegenwärtig lauter unmögliche Dinge zu ereignen.
Der Anblick des um Momemns düstere Mauern versammelten Heers war auch nicht weniger erstaunlich als das, was Achamian in den Alpträumen begegnete, die von den Alten Kriegen handelten – vielleicht abgesehen von den herzzerreißenden Schlachten um Agongorea und der aussichtslosen Belagerung von Golgotterath. Die Ankunft des Scylvendi und des Prinzen aus Atrithau hatte die absurden Dimensionen des Heiligen Kriegs nur bestätigt – als wären ein paar Helden der alten Geschichten eigens auferstanden, um ihm ihren Segen zu geben.
Einer meiner Nachkommen wird zurückkehren, Seswatha – ein Anasûrimbor kehrt zurück…
So bemerkenswert die Ankunft des Scylvendi auch gewesen war – irgendwie schien ihr etwas Zufälliges anzuhaften. Mit Prinz Anasûrimbor Kellhus von Atrithau aber lagen die Dinge anders. Anasûrimbor – das war ein Name! Diese Dynastie war die dritte und auch großartigste gewesen, die Kûniüri regiert hatte. Die Mandati hatten geglaubt, die Familie sei seit über tausend Jahren erloschen – wenn nicht mit dem Tod von Celmomas II. in der Schlacht bei Eleneöt, dann sicher mit der Plünderung der herrlichen Stadt Trysë kurz darauf. Doch offensichtlich war es anders. Die Familie, aus der der erste große Rivale des Nicht-Gottes gekommen war, hatte irgendwie überleben können. Eigentlich kaum zu glauben.
… doch das wird am Ende aller Tage sein.
»Proyas hat mich tatsächlich gewarnt«, räumte Kellhus ein. »Er hat mir erzählt, ihr Mandati leidet an Alpträumen, in denen meine Ahnen vorkommen.«
Achamian hatte bei diesen Worten das deutliche Gefühl, Proyas habe sich ihm gegenüber illoyal verhalten. Er konnte den Kronprinzen beinahe tönen hören: Er wird Euch verdächtigen, Kundschafter der Rathgeber zu sein… Und wenn er das nicht beweisen kann, wird er hoffen, dass Atrithau noch immer mit den Rathgebern im Krieg liegt und Ihr Neuigkeiten über seinen unauffindbaren Feind habt. Lasst ihn gewähren, wenn Ihr mögt. Und versucht nicht, ihn davon zu überzeugen, dass die Rathgeber nicht existieren. Darauf wird er nie und nimmer hören.
»Aber ich denke«, fuhr Kellhus fort, »man sollte einen Mann erst kritisieren, nachdem man sein Pferd einen Tag lang geritten ist.«
»Weil man ihn dann besser versteht?«
»Nein«, entgegnete der Mann aus Atrithau so achselzuckend wie augenzwinkernd. »Weil man dann nicht nur sein Pferd, sondern auch einen Tag Vorsprung hat…«
Vorgeblich bekümmert schüttelte Achamian den Kopf, grinste dabei aber, und Sekunden später lachten alle drei los.
Ich mag diesen Mann. Vielleicht ist er wirklich der, der er zu sein behauptet.
Als ihr Gelächter verebbte, stellte Kellhus ihn der Frau namens Serwë vor und hieß ihn willkommen. Kurz darauf saß der Hexenmeister den beiden schon im Schneidersitz am Feuer gegenüber.
In Situationen wie diese begab Achamian sich selten mit einem ausgefeilten Plan. Gewöhnlich kam er mit kaum mehr als einer Handvoll Anekdoten. Während er die erzählte, stellte er dann und wann Fragen und suchte in den Antworten nach Hinweisen, also nach verräterischen Worten oder Mienen. Er wusste nie genau, wonach er suchte, war aber sehr aufmerksam und verließ sich darauf, dass
Weitere Kostenlose Bücher