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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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einer Entführung? Derlei war schon vorgekommen.
    »Unser Geheimnis ist gelüftet«, pflichtete Eleäzaras ihm bei. »Aber eures auch.«
    Achamian musterte ihn fragend. Der Hochmeister redete, als wollte er Kenntnis von einem widerlichen Geheimnis von solcher Schändlichkeit suggerieren, dass einfach jede Anspielung – egal, wie indirekt – verstanden werden musste. Dennoch hatte Achamian keine Ahnung, wovon er sprach.
    »Es war reiner Zufall«, fuhr Eleäzaras fort, »dass wir seine Leiche fanden. Ein Fischer, der in der Mündung des Sayut seine Netze auswirft, hat sie uns gebracht. Dass du ihn getötet hast, hat uns nicht sonderlich beunruhigt. Schließlich gewinnt man beim Benjuka oft wichtige Figuren, indem man sich zunächst kleiner Spielsteine entledigt. Nein – uns hat Sorge bereitet, wie du ihn getötet hast.«
    »Ich?«, lachte Achamian ungläubig auf. »Ihr glaubt, ich habe Geshrunni umgebracht?«
    Der Schreck war ihm in die Knochen gefahren. Deshalb war er mit dieser Frage einfach herausgeplatzt. Das wiederum hatte Eleäzaras überrascht.
    »Euch fällt das Lügen wirklich leicht«, sagte der Hochmeister nach einer Schrecksekunde.
    »Und Ihr seid groß darin, Euch etwas vorzumachen! Geshrunni war der bestplatzierte Informant der Mandati seit dreißig Jahren. Warum hätten wir ihn umbringen sollen?«
    Der Lärm hatte weiter zugenommen. Aus den Augenwinkeln sah Achamian Fäuste schwingende Randalierer, die Beleidigungen und Vorwürfe brüllten. Doch sie erschienen ihm merkwürdig belanglos, als würde sich ihr Aufruhr vor der Absurdität des ersten Treffens mit dem Hochmeister der Scharlachspitzen in Rauch auflösen.
    Eleäzaras musterte ihn einen Moment nachdenklich und schüttelte dann bekümmert den Kopf, als würde ihn die Ausdauer dieses hartgesottenen Lügners betrüben. »Weshalb bringt man einen Informanten schon um? Viele Menschen sind tot nützlicher als lebendig. Doch wie gesagt: Es war die Art, wie er zu Tode kam, die meine zugegeben krankhafte Neugier geweckt hat.«
    Achamian zog ungläubig die Schultern hoch und machte dazu ein böses Gesicht. »Jemand hält Euch zum Narren, Hochmeister.«
    Jemand hält uns beide zum Narren… Aber wer?
    Eleäzaras funkelte vor Zorn und schürzte die Lippen, als hätte er ein Stück Limone im Mund. »Mein Oberster Kundschafter hat mich vor Eurer Reaktion gewarnt«, sagte er entschieden. »Ich nahm an, Ihr würdet einen unerfindlichen Grund für Eure Tat haben, der mit eurer verflixten Gnosis zusammenhängt, doch er beharrte darauf, Ihr wäret einfach nur verrückt. Und er hat gesagt, ich würde das daran merken, wie Ihr lügt, weil nur Verrückte und Geschichtsschreiber an ihre Lügen glauben.«
    »Erst bin ich ein Mörder, und nun bin ich verrückt?«
    »Allerdings«, stieß Eleäzaras vernichtend und angewidert hervor. »Wer sonst würde menschliche Gesichter sammeln?«
    In diesem Moment flogen wieder Steine über ihren Köpfen.
    Eleäzaras unterdrückte den Impuls, die Hände zu ringen, und blinzelte die Erinnerungen an die fast katastrophale Begegnung weg, die er am Vortag mit dem Ordensmann der Mandati gehabt hatte. Das Gesicht eines Namenlosen verfolgte ihn besonders, eines untersetzten Vasallen aus Ce Tydonn, dessen linkes Auge sich durch eine lange zurückliegende Verletzung in eine schneeblaue Fläche verwandelt hatte. Sicher – manche Gesichter waren für den Ausdruck von Bosheit eher geschaffen als andere. Doch dieser Mann… Gestern war er ihm geradezu als Verkörperung des Hasses erschienen, als furchtbarer Gott, der in eine Gestalt geschlüpft war, die nur aus gefühllosem Fleisch und hitzigem Blut bestand.
    Sie verachten uns so sehr. Und daran tun sie gut.
    Um die Demütigung zu vermeiden, vor den Mauern von Momemn zu zelten, hatten die Scharlachspitzen von einer hochadligen Familie Nansurs ein nahe gelegenes Landhaus zu einem Wucherpreis gemietet. Den Ainoni erschien es ziemlich streng und einer Festung ähnlicher als einem Landsitz, doch sie mussten – vermutete Eleäzaras – bei ihren Bauten ja auch keine Angriffe der Scylvendi einplanen. Und wenigstens bot das Haus ihm einen gewissen stillen Komfort. Die Zeltlandschaft des Heiligen Kriegs dagegen hatte sich in ein furchtbares Elendsviertel verwandelt, wie ihm sein jüngster Ausflug zu dem dreimal verfluchten Mandati wieder vor Augen geführt hatte.
    Eleäzaras hatte seine Sklaven fortgeschickt und saß allein unter dem schattigen Portikus, von wo er den einzigen Hof des Hauses

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