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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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beigelegt. Solche Anhänger waren das Einzige, was Hexenmeister nicht lachend abtun konnten. Dieses Angebot – signalisierten die Chorae – verlangt eine ernsthafte Prüfung.
    Dann hatte Eleäzaras begriffen, was Maithanet ihnen eigentlich angeboten hatte.
    Rache.
    »Also müssen wir unsere Anstrengungen in Sumna verdoppeln, Iyokus. Die gegenwärtige Lage können wir nicht hinnehmen.«
    »Der Meinung bin ich auch. Glaube allein ist unerträglich.«
    Eine zehn Jahre alte Erinnerung bestürmte Eleäzaras und ließ seine Fingerspitzen leise zittern: das Bild davon, wie Iyokus nach dem Anschlag blutverschmiert und mit blasiger Haut auf ihn zugetaumelt kam und jene Worte gekrächzt hatte, die ihn seither ständig plagten: »Wie haben sie das geschafft?«
    Es ist unheimlich, wie gewisse Erlebnisse dem Vergehen der Jahre trotzen, zu schwären beginnen und die Gegenwart wie ein unvergängliches Gestern heimsuchen. Selbst hier – weit weg vom Sitz der Scharlachspitzen und im Abstand von zehn Jahren – hatte Eleäzaras noch den süßlichen Bratengeruch in der Nase, der dem von Schweinefleisch, das man zu lange am Spieß gelassen hat, sehr ähnlich war. Wie lange war es her, dass er zum letzten Mal Schweinefleisch hatte essen können? Wie oft hatte er von jenem Tag geträumt?
    Damals war Sasheoka Hochmeister gewesen. Sie hatten sich im Beratungstrakt tief unter dem Palast der Scharlachspitzen getroffen und darüber gesprochen, dass möglicherweise einer von ihnen zum Orden der Mysunsai übergelaufen sei. Die heiligsten Gemächer der Scharlachspitzen waren durch alle Arten von Abwehrzauber gesichert. Man konnte keinen Schritt tun und sich nirgendwo an die Wand lehnen, ohne aus dem Stein gemeißelte Zauberformeln oder wenigstens deren Aura zu spüren. Und doch waren die Attentäter plötzlich einfach dagewesen.
    Es hatte ein merkwürdiges Geräusch gegeben, das dem Flattern ins Netz gegangener Vögel ähnelte. Dann war ein Licht in den Raum gefallen, als sei eine Tür aufgestoßen worden, durch die man direkt in die Sonne sah. Und im Rahmen dieser Tür hatten drei Umrisse gestanden – die Silhouetten dreier Mordbuben.
    Kaum war der Schreck ihm ins Mark gefahren und hatte sein Denken gelähmt, da wurden Möbel und Menschen schon gegen die Wände geschleudert. Blendende Blitze von reinstem Weiß peitschten in alle Ecken des Raums. Gellende Schreie ertönten, und panische Angst fuhr ihm in die Eingeweide.
    Im Schutz eines umgekippt gegen die Wand lehnenden Tisches war Eleäzaras sterbend durch sein eigenes Blut gerobbt – das jedenfalls hatte er zunächst befürchtet. Einige seiner Ordensbrüder waren noch am Leben. Er sah Sasheoka – seinen Vorgänger und Lehrer – unter dem grellen Blitz der Attentäter zusammenbrechen, und er entdeckte den knienden Iyokus, der in seiner schimmernden magischen Schutzhülle schon schwankte und sich verzweifelt darum bemühte, sie zu verstärken. Dann gingen Wasserfälle blendenden Lichts nieder, so dass er Iyokus nicht mehr erkennen konnte. Irgendwie hatten die Eindringlinge Eleäzaras nicht bemerkt, der nun spürte, wie ihm Worte auf die Lippen stiegen. Er konnte sie sehen – drei Männer in safrangelben Roben, von denen zwei kauerten und einer stand. Sie schienen in dem von ihnen veranstalteten Lichtspektakel geradezu zu baden. Ihre Gesichter mit den tiefen Augenhöhlen von Blinden waren völlig gelassen, und was an Energie durch den Raum flutete, schien ihnen von der Stirn zu wehen, als würde sie durch ein Fenster geradewegs aus dem Jenseits kommen. Ein goldenes Phantom bäumte sich vor Eleäzaras’ ausgestreckten Händen auf – ein Phantom mit schuppigem Hals, mächtigem Kamm und furchtbar klaffendem Maul. Mit der überlegenen Anmut einer Königin senkte sich der Drachenkopf und suchte die Cishaurim mit Feuer heim. Eleäzaras weinte in hilflosem Zorn, als er den Abwehrzauber seiner Ordensbrüder zusammenbrechen sah. Das Kellergewölbe bekam überall Risse, und seinen Kollegen wurde das Fleisch buchstäblich von den Knochen gefegt.
    Dann war es still. Überall lagen Leichen herum. Sasheoka war nur noch ein brutzelndes Etwas. Iyokus hockte keuchend am Boden. Nichts, nichts hatten sie im Vorfeld gespürt – außer ihrem eigenen Hexenwerk natürlich. Es war, als wären die Cishaurim nie dagewesen. Dann war Iyokus zu ihm getaumelt und hatte gefragt: »Wie haben sie das geschafft?«
    Damals hatten die Cishaurim ihren langen und geheimen Krieg begonnen. Und Eleäzaras würde ihn

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