Schattenfall
den über ihn kursierenden Gerüchten mehr als gerecht.
Cnaiür begegnete ihrem Mustern mit Verachtung und besah seinerseits einen nach dem anderen, als begutachtete er eine Herde Rinder. Proyas murmelte Xinemus ein paar Worte zu und zog Cnaiür und Kellhus dann schnell beiseite.
Plötzlich erhoben sich von überall dringende Bitten. Xinemus brachte die Adligen mit einer Geste zum Schweigen und rief: »Ihr werdet früh genug hören, was der Mann zu sagen hat.«
Proyas verzog das Gesicht und murmelte: »Besser konnte es kaum laufen, schätze ich.«
Kellhus hatte entdeckt, dass der Kronprinz ein frommer, aber etwas hitziger Mann war. Er besaß eine innere Stärke und moralische Gewissheit, die andere irgendwie zwang, seine Zustimmung zu suchen. Doch er war auch sehr darauf aus, Gottlosigkeiten aufzudecken, und zweifelte an genau den Menschen, die von seiner Glaubensstärke angezogen waren.
Der Dunyain hatte diese Verbindung von Zweifel und Gewissheit erst verblüffend gefunden. Aber nach dem Abend mit Drusas Achamian hatte er begriffen, dass der Kronprinz dazu erzogen war, misstrauisch zu sein. Proyas war aus Gewohnheit auf der Hut. Wie beim Scylvendi musste Kellhus nun auch beim Kronprinzen vermeiden, Themen allzu direkt anzugehen. Selbst nach Tagen des Gesprächs und vielen prüfenden Fragen hegte der Mann noch Vorbehalte.
»Sie scheinen besorgt zu sein«, sagte Kellhus.
»Kein Wunder«, gab Proyas zurück. »Ich bringe ihnen einen Prinzen, der behauptet, von Shimeh zu träumen, und einen heidnischen Scylvendi, der ihr Oberbefehlshaber werden kann.« Er warf seinen Glaubensgenossen einen nachdenklichen Blick zu. »Diesen Männern wirst du demnächst gleichgestellt sein«, sagte er zu Cnaiür. »Hör ihnen gut zu und studiere ihr Verhalten genau. Sie sind allesamt extrem stolz, und wer stolz ist – habe ich festgestellt –, neigt nicht zu klugen Entscheidungen…«
Was Proyas damit sagen wollte, war klar: Bald würde ihr Leben von den klugen Entscheidungen dieser Männer abhängen.
Der Kronprinz wies auf einen großgewachsenen Galeoth, der unter den hängenden Zweigen eines rosa und grün prangenden Tamariskenbaums stand. »Das ist Prinz Coithus Saubon, der siebte Sohn von König Eryeat und Anführer der aus Galeoth gekommenen Truppen. Er diskutiert gerade mit seinem Neffen Athjeäri, dem Grafen von Gaenri. Coithus Saubon genießt in diesem Teil der Drei Meere viel Ansehen: Er hat vor ein paar Jahren das von seinem Vater gegen Nansur ausgesandte Heer befehligt und, soviel ich weiß, einige erfolgreiche Schlachten geschlagen, hat dann aber gegen Conphas, den der Kaiser gerade erst zum Oberbefehlshaber gemacht hatte, eine demütigende Niederlage einstecken müssen. Vielleicht hasst niemand das Haus Ikurei so wie er. Der Stoßzahn und der Letzte Prophet sind ihm dagegen völlig egal.«
Wieder hatte Proyas die eigentliche Bedeutung seiner Worte unausgesprochen gelassen: Der Prinz aus Galeoth war ein Söldner, der sie nur so lange unterstützen würde, wie ihre Ziele sich mit dem seinen deckten.
Kellhus taxierte das Gesicht unter dem rotblonden Schopf, das trotz des vorspringenden Kinns die gefälligen Züge eines Barden hatte. Ihre Blicke trafen sich. Saubon nickte mit vorsichtiger Höflichkeit.
Der Dûnyain bemerkte an seinem Gegenüber eine kaum wahrnehmbare Beschleunigung des Herzschlags und ein schwaches Erröten. Auch waren seine Augen irgendwie schmaler geworden, als habe ein unsichtbarer Schlag sie zum Blinzeln gebracht.
Der fürchtet nichts so sehr wie die Einschätzung anderer.
Kellhus nickte mit freimütiger Unschuldsmiene zurück. Ihm war klar, dass Saubon unter dem strengen Blick eines anderen aufgewachsen sein musste – unter den Augen eines grausamen Vaters vielleicht; oder unter denen einer grausamen Mutter.
Wie gern würde er zeigen, was in ihm steckt, und alle beschämen, die ihn taxieren.
»Nichts macht einen ärmer als Ehrgeiz«, sagte Kellhus.
»Stimmt«, gab Proyas beifällig zurück und nickte dem Prinzen aus Galeoth ebenfalls zu.
»Der da«, fuhr der Kronprinz fort und wies auf einen Dicken, der hinter dem Mann aus Galeoth stand, »ist Hoga Gothyelk, der Graf von Agansanor und gewählte Anführer des von Ce Tydonn gestellten Truppenteils. Vor meiner Geburt hat Hoga in der Schlacht von Maän meinen Vater geschlagen, der sein Hinken bis heute als ›Gothyelks Geschenk‹ bezeichnet.« Proyas lächelte und schien ganz treuer Sohn, dem der Humor des Vaters viel bedeutet.
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