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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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»Gerüchten zufolge ist Hoga Gothyelk im Tempel so fromm wie auf dem Schlachtfeld unbesiegbar.«
    Und wieder schwang die Botschaft mit: Er ist einer von uns.
    Anders als Saubon war es dem Grafen von Agansanor entgangen, dass die beiden ihn kurz gemustert hatten, denn er war damit beschäftigt, drei junge Männer zu beschimpfen, und das wohl in seiner Muttersprache. Sein langer, eisengrau schimmernder Bart schwang beim Zetern hin und her, die breiten Nasenflügel bebten, und die Augen blitzten unter wuchernden Brauen.
    »Die Männer, die er da zusammenstaucht…?«, fragte Kellhus.
    »… sind seine Söhne, jedenfalls drei davon. In Conriya nennen wir sie die Hoga-Brut. Er wirft ihnen vor, zu viel zu trinken. Der Kaiser, sagt er, lege es nur darauf an, sie abzufüllen.«
    Doch Kellhus war klar, dass den Alten weit mehr als nur ihr Trinken erzürnte. Etwas Müdes hatte sich in seiner Miene eingenistet, und der alte Schwung hatte im Laufe eines langen, turbulenten Lebens nachgelassen. Hoga Gothyelk spürte keine Wut mehr, jedenfalls keine richtige, sondern nur noch verschiedene Formen von Trauer, Sorge und Gram. Aber warum?
    Er hat etwas getan…Er hält sich für verdammt.
    Ja, da war es: Die verborgene Lösung dieses Rätsels fand sich, wo die straffen Falten seines Gesichts erschlafften – um die Augen herum nämlich.
    Er ist gekommen, um zu sterben. Der Tod als Läuterung.
    »Und der da inmitten der Maskenträger«, fuhr Proyas fort und wagte es, offen auf den Mann zu zeigen, über den er sprach. »Siehst du den?«
    Proyas hatte nach ganz links gezeigt, wo sich in einiger Entfernung die größte Gruppe versammelt hatte: die Statthalter von Ainon. Alle waren spektakulär herausgeputzt. Unter geflochtenen Perücken trugen sie weiße Porzellanmasken auf Augen und Wangen. Sie sahen aus wie bärtige Statuen.
    »Meint Ihr den, dessen Haar sich auf dem Rücken wie ein Fächer ausbreitet?«, fragte Kellhus.
    Proyas würdigte ihn eines verdrossenen Lächelns. »Allerdings. Das ist kein anderer als Chepheramunni persönlich, der regierende König von Ainon und Schoßhund der Scharlachspitzen… Siehst du, wie er alles, was man ihm zu essen und zu trinken anbietet, verschmäht? Er fürchtet, der Kaiser wolle ihn vergiften.«
    »Warum tragen sie Masken?«
    »Die Ainoni sind verdorbene Leute«, gab Proyas zurück und ließ einen misstrauischen Blick über die unmittelbare Umgebung schweifen. »Bei denen ist jeder Schauspieler. Sie sind extrem besorgt, was die Finessen des Umgangs mit Menschen anlangt, und halten das Verbergen des Gesichts für eine starke Waffe in allen Angelegenheiten des Jnan.«
    »Jnan«, murmelte Cnaiür, »ist eine Krankheit, an der ihr alle leidet.«
    Proyas lächelte. Es belustigte ihn, wie unermüdlich der Mann aus der Steppe seine Verachtung kultivierte. »Das tun wir gewiss. Aber bei den Ainoni ist diese Krankheit tödlich.«
    »Verzeiht«, sagte Kellhus, »aber was ist ›Jnan‹ eigentlich?«
    Proyas warf ihm einen verwunderten Blick zu. »Darüber hab ich noch kaum nachgedacht«, bekannte er. »Ich erinnere mich, dass Jnan für Byantas ›der Krieg der Worte und Gefühle‹ ist. Doch es ist weit mehr. Die Finessen, die das Verhalten zwischen Menschen bestimmen, könnte man sagen. Es ist…« – er zuckte die Achseln – »… einfach etwas, das wir tun.«
    Kellhus nickte. Sie wissen so wenig über sich, Vater.
    Die Unzulänglichkeit seiner Antwort war Proyas selbst unbehaglich. Darum lenkte er die Aufmerksamkeit auf eine kleine Gruppe von Männern, die den Teich umstanden und über der Tunika alle die gleiche weiße, mit dem Stoßzahn geschmückte Robe trugen.
    »Dort. Der mit dem silbergrauen Haar. Das ist Incheiri Gotian, der Hochmeister der Tempelritter. Er ist ein guter Mann – der persönliche Gesandte des Tempelvorstehers. Maithanet hat ihn angewiesen, in dem Verfahren, das wir gegen den Kaiser angestrengt haben, ein Urteil zu fällen.«
    Gotian erwartete den Kaiser schweigend und hatte ein Kästchen aus Elfenbein in der Hand, das – wie Kellhus vermutete – ein Schreiben von Maithanet enthielt. Obwohl Gotian eine selbstsichere Miene aufgesetzt hatte, erkannte der Dunyain am raschen Puls der Halsschlagader, am Zucken der Sehnen auf dem Handrücken und am starren Zug um seinen Mund sofort, dass er besorgt war…
    Erfühlt sich seiner Last nicht gewachsen.
    Doch unter Gotians Miene köchelte mehr als nur Sorge: Seine Augen verrieten auch eine merkwürdige Sehnsucht, die Kellhus schon oft

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