Schattenfall
diffuser Naherwartung. Der Baum, der Kern, der im emphatischen Sinne erfüllte Moment – dieses zum Äußersten gesteigerte Versprechen schlug durch die ständige Wiederholung ein und desselben Lauts, die eine Verweigerung jeglicher Benennung bedeutete, ins Nichts um.
Ein goldener Strahlenkranz auf den hohen Hängen des Gletschers.
… und dann nichts.
Kein Gedanke.
»Das Kaiserreich heißt euch willkommen«, erklärte Xerius, und seiner Stimme war deutlich anzumerken, wie schwer es ihm fiel, sie sanft klingen zu lassen. Er ließ seinen Blick über die Anführer der im Hof versammelten Männer des Stoßzahns schweifen, verweilte dann einen Moment auf dem neben Kellhus stehenden Cnaiür und lächelte.
»Ah ja – unser erstaunlichster Neuzugang. Der Scylvendi. Ich habe gehört, du bist ein Häuptling der Utemot. Stimmt das?«
»Das stimmt«, gab Cnaiür zurück.
Der Kaiser schätzte diese Antwort im Stillen ein. Er war, wie Kellhus merkte, nicht in der Stimmung, sich mit den Feinheiten des Jnan abzugeben. »Ich habe auch einen Scylvendi«, sagte er, schob seinen reich bestickten Ärmel zurück, griff mit entblößtem Unterarm nach der Kette zu seinen Füßen und zerrte brutal daran. Der zusammengekauerte Xunnurit hob das geblendete Gesicht mit gebrochener Miene den Betrachtern entgegen. Sein nackter Leib war infolge von Unterernährung bis aufs Skelett abgemagert, und seine Glieder hingen merkwürdig schräg in den Gelenken, als würden sie sich nach innen, von der Welt abwenden. Die langen Swazond an seinen Armen schienen inzwischen eher ein Verweis auf die Knochen darunter als auf die blutige Vergangenheit, in der sie von seinem Ruhm als Krieger gezeugt hatten.
»Sag mal«, meinte der Kaiser und genoss seine brutale Gemeinheit, »von welchem Stamm ist der?«
Cnaiür schien ungerührt. »Der war von den Akkunihor.«
›»War‹ sagst du? Dann ist er in deinen Augen schon tot?«
»Nein. Nicht tot – er ist nichts.«
Der Kaiser lächelte, als erwärmte er sich gerade für ein kleines Rätsel, das ihm eine probate Ablenkung von wichtigeren Angelegenheiten bieten mochte. Doch Kellhus konnte das Kalkül unter seinem Lächeln erkennen: die Zuversicht des Xerius, er werde diesem Wilden schon zeigen, was für ein unwissender Narr er sei; und auch des Kaisers Bedürfnis nach dieser Demonstration.
»Weil wir ihn gebrochen haben, was?«, wollte der Herrscher wissen.
»Wen?«
Ikurei Xerius hielt kurz inne und sagte dann: »Den Kerl hier. Xunnurit, den Stammeskönig. Deinen König…«
Cnaiür zuckte die Achseln wie über die belanglose Laune eines Kindes. »Du hast nichts gebrochen.«
Bei dieser Antwort war da und dort Lachen zu hören.
Der Kaiser wurde langsam ärgerlich. Kellhus sah ihn allmählich begreifen, dass der Wilde, der da vor ihm stand, intelligent war. Und diese Erkenntnis ließ Xerius seine Strategie überdenken.
Der Kerl ist es gewohnt, dachte Kellhus, kapitale Fehler wegzustecken, als sei nichts gewesen.
»Verstehe«, sagte Xerius nun. »Einen Einzelnen zu brechen, bedeutet nichts, denn es ist leicht. Aber ein Volk zu brechen… Das ist keine Kleinigkeit, oder?«
Er begann zu strahlen, als Cnaiür nicht antwortete.
Dann fuhr er fort: »Mein Neffe Conphas hier hat ein Volk gebrochen, von dem du vielleicht schon gehört hast – es waren Steppenbewohner, die sich das Volk des Krieges nannten.«
Wieder verweigerte Cnaiür die Antwort. In seinen Augen allerdings stand blanke Mordlust.
»Es war dein Volk, Scylvendi. Gebrochen am Kiyuth! Warst du eigentlich auch dabei?«
»Ich war dabei«, sagte Cnaiür heiser.
»Und wurdest auch du dort gebrochen?«
Stille.
»Ob auch du dort gebrochen wurdest?«
Alle Blicke ruhten nun auf dem Scylvendi.
»Ich wurde dort…« – er suchte nach dem richtigen Scheyischen Ausdruck – »… geschult.«
»Tatsächlich?«, rief der Kaiser. »Das hätte ich mir denken können. Conphas ist ein sehr anspruchsvoller Lehrer. Dann erzähl mir doch mal, welche Lektion du dort bekommen hast.«
»Conphas war meine Lektion.«
»Conphas?«, wiederholte der Kaiser. »Du musst schon entschuldigen, Scylvendi, aber ich bin ein wenig verblüfft.«
Cnaiür fuhr in besonnenem Ton fort. »Am Kiyuth habe ich gelernt, was Conphas gelernt hat. Er ist ein auf vielen Schlachtfeldern erzogener General. Von den Galeoth hat er gelernt, wie wirksam sich eine gut gedrillte und mit Spießen ausgerüstete Infanterie-Division gegen Angriffe der Reiterei einsetzen lässt. Von
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