Schattenfall
den Kianene hat er gelernt, wie gut man den Gegner in die Irre führen kann, indem man die Flucht vortäuscht, tatsächlich aber noch einen großen Reiterverband in der Hinterhand hat. Und von den Scylvendi hat er die Bedeutung des Gobokzoy – also des ›richtigen Moments‹ – gelernt und weiß, dass man seine Feinde schon von weitem durchschauen und genau dann zuschlagen muss, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten.
Am Kiyuth habe ich gelernt«, schloss Cnaiür und blickte Conphas dabei hart ins Gesicht, »dass Krieg eine Sache des Verstandes ist.«
Auf dem Gesicht des Kaiserneffen war der Schreck deutlich zu sehen, und Kellhus war über die Wirkung von Cnaiürs Worten erstaunt. Doch es geschah zu viel, als dass er sich darauf hätte konzentrieren können. Durch den Wortwechsel zwischen Kaiser und Barbar war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt.
Diesmal war es Xerius, der schwieg.
Kellhus begriff, worum es bei diesem Schlagabtausch wirklich ging. Der Kaiser musste beweisen, dass der Scylvendi unfähig war, ein Heer zu führen. Xerius hatte die Unterschrift der Inrithi unter seinen Vertrag zur Bedingung dafür gemacht, dem Heiligen Krieg seinen Neffen als Oberbefehlshaber zu überlassen. Wie jeder Kaufmann konnte Xerius diesen Preis nur rechtfertigen, indem er die Ware seiner Mitbewerber schlecht machte.
»Schluss mit dem Geplapper!«, rief Coithus Saubon. »Die Hohen Herren haben genug gehört…«
»Aber die Entscheidung liegt nicht bei ihnen!«, raunzte der Kaiser.
»Aber auch nicht bei Ikurei Xerius«, ergänzte Proyas mit fanatisch glühenden Augen.
Der grauhaarige Gothyelk rief: »Gotian! Was sagt der Tempelvorsteher? Was sagt Maithanet zu dem Vertrag, den der Kaiser uns aufzwingen will?«
»Dafür ist es doch noch zu früh!«, ereiferte sich der Kaiser. »Wir haben diesen Mann… diesen Heiden schließlich noch gar nicht ausgelotet!«
Andere aber forderten lautstark: »Gotian!«
»Dann sagt uns, Gotian, was Ihr darüber denkt«, rief der Kaiser. »Wollt Ihr, dass euch ein Heide in den Kampf gegen die Heiden führt? Wollt Ihr bestraft werden, wie der Gemeine Heilige Krieg auf den Ebenen von Mengedda bestraft wurde? Wie viele sind dort gefallen? Wie viele hat die Unbesonnenheit von Calmemunis in die Sklaverei geraten lassen?«
»Die Hohen Herren führen das Heer an!«, rief Proyas. »Der Scylvendi wird nur unser Berater sein…«
»Das ist trotzdem ein Skandal!«, donnerte der Kaiser. »Ein Heer mit zehn Generalen? Wenn ihr ins Straucheln kommt – und das werdet ihr, denn ihr kennt die Gerissenheit der Kianene nicht –, an wen wollt ihr euch dann halten? An einen Scylvendi? Im Moment höchster Gefahr? Das ist doch völlig absurd! Dann wird aus dem Feldzug ja der Heilige Krieg eines Heiden!«, rief er klagend, als würde er mit einem geschätzten Menschen reden, der wahnsinnig geworden war. »Ist euch Narren das denn völlig egal? Der Kerl ist eine Strafe! Ein Gotteslästerer! Eine Beleidigung Gottes!«
»Ihr wollt uns was von Skandal erzählen?«, rief Proyas zurück. »Ihr wollt diejenigen Frömmigkeit lehren, die ihr Leben für den Stoßzahn opfern würden? Was ist denn mit Euren Missetaten, Ikurei? Was ist mit Euch, der Ihr den Heiligen Krieg zum Werkzeug Eurer Spielchen machen wollt?«
»Ich will den Heiligen Krieg schützen, Proyas! Ich will das Werkzeug Gottes vor eurer Ahnungslosigkeit bewahren!«
»Aber wir sind nicht mehr ahnungslos, Ikurei«, antwortete Saubon. »Ihr habt den Scylvendi gehört. Wir alle haben ihn gehört.«
»Dieser Mann wird euch doch verkaufen! Er ist ein Scylvendi! Habt ihr überhaupt gehört, was ich gesagt habe?«
»Zwangsläufig«, stieß Saubon hervor. »Ihr kreischt lauter als meine Frau!«
Brüllendes Gelächter.
»Mein Onkel sagt die Wahrheit«, rief Conphas, und die Adligen verstummten. Der große Conphas hatte endlich gesprochen. Er war die vernünftigere Stimme.
»Ihr wisst nichts von den Scylvendi«, fuhr er sachlich fort. »Das sind keine Heiden vom Kaliber der Fanim. Ihre Schlechtigkeit beruht nicht darauf, den wahren Glauben ins Abscheuliche zu verbiegen: Sie sind ein Volk ohne Götter.«
Conphas schritt die Treppenstufen zum Stammeskönig hinab und zerrte sein geblendetes Gesicht hoch, damit alle es sehen konnten. Dann nahm er einen von Xunnurits abgemagerten Armen.
»Diese Narben nennen sie Swazond«, sagte er wie ein geduldiger Lehrer, »was sich mit ›Tötungen‹ übersetzen lässt. Für uns sind sie kaum mehr als grausame
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