Schattenfall
zweifellos gehörte – dazu bringen, ihn einzubestellen. Entweder waren sie auf ein Problem gestoßen, das die Kaiserlichen Ordensleute oder der Söldnerorden der Mysunsai nicht zu lösen vermochte, oder sie wollten über die Rathgeber sprechen. Da außer den Mandati aber niemand mehr an deren Existenz glaubte, konnte es sich nur um ein kniffliges Problem drehen. Und vielleicht war das gar nicht so unwahrscheinlich, denn obwohl die Großen Gruppen oft gemeinsam über die Mission der Mandati lachten, respektierten sie doch die Fertigkeiten des Ordens.
Die Gnosis hatte sie zu Narren werden lassen – zu Narren freilich, die etwas zu bieten hatten.
Schließlich durchquerten sie ein hohes Tor, ritten durch die Außenanlagen des Palastbezirks und erreichten den Fuß der Andiamin-Höhen. Doch die Erleichterung, die Achamian erwartet hatte, war nicht in Sicht.
»Wir sind da, Hexenmeister«, sagte Ikurei Conphas knapp und saß mit der Leichtigkeit eines Menschen ab, der den Umgang mit Pferden von klein auf gewöhnt ist. »Mir nach.«
Conphas brachte ihn zu einem eisenbeschlagenen Tor – wohl einem Nebeneingang. Der Palast, dessen Marmorsäulen im Licht der zahllosen Fackeln ringsum schimmerten, erstreckte sich die weitläufigen Höhen hinauf. Kaum hatte Conphas ans Tor gehämmert, öffneten zwei Gardisten die Türflügel, und vor Achamian tauchte ein langer, von Kerzen beleuchteter Gang auf, der allerdings nicht zum Palast hinauf, sondern in den Berg führte.
Conphas schritt durchs Tor, hielt dann aber an, weil Achamian zögerte.
»Fragst du dich«, meinte er mit einem kleinen, boshaften Lächeln, »ob dieser Gang in die Kerker des Kaisers führt? Nun – genau dorthin geht die Reise…« Das Kerzenlicht brachte das prächtige Relief seines Brustharnischs, in den die Sonnen der Nansur geprägt waren, zum Glänzen. Achamian spürte, dass Conphas – wie die meisten Hochadligen – ein Chorum unterm Harnisch trug, das ihn vor Hexerei schützen sollte.
»Das hatte ich mir schon gedacht«, gab er zurück und blieb auf der Schwelle stehen. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass Ihr mir erklärt, was ich hier soll.«
»Ihr Hexer vom Orden der Mandati«, sagte Conphas bekümmert. »Wie alle Geizkragen nehmt ihr an, jeder sei hinter dem her, was ihr zusammengehamstert habt. Glaubst du wirklich, ich sei so dumm, das Lager des Proyas in aller Öffentlichkeit zu durchsuchen, nur um dich zu entführen?«
»Ihr gehört zum Haus Ikurei. Das ist Grund genug, besorgt zu sein – findet Ihr nicht?«
Conphas musterte ihn einen Moment wie ein Steuerpächter und begriff anscheinend, dass Achamian sich durch Spott nicht unter Druck setzen ließ und auch seiner hohen Stellung als Oberbefehlshaber gegenüber schlicht immun war. »Na gut«, sagte er unvermittelt. »Wir haben einen Kundschafter in unserer Mitte entdeckt. Der Kaiser braucht deine Hilfe, um sich zu vergewissern, dass dabei keine Hexerei im Spiel war.«
»Traut ihr den Kaiserlichen Ordensleuten denn nicht?«
»Denen traut niemand.«
»Verstehe. Und dem Söldnerorden, den Mysunsai? Warum greift ihr nicht auf seine Hilfe zurück?«
Wieder lächelte Conphas herablassend – oder noch weit mehr als das. Achamian hatte dieses Lächeln schon oft gesehen, doch immer war es ihm schrill erschienen, von leiser Verzweiflung getrübt. Das Lächeln des Oberbefehlshabers jedoch hatte nichts Schrilles. Seine makellosen Zähne blitzten im Kerzenlicht. Ein Raubtiergebiss. »Dieser Kundschafter ist äußerst unheimlich, Hexenmeister. Gut möglich, dass die Mysunsai ihm mit ihren begrenzten Fähigkeiten nicht beikommen können.«
Achamian nickte. Das Talent der Mysunsai war in der Tat begrenzt. Söldnerseelen sind nur selten begnadet. Dass aber der Kaiser nach einem Mandati geschickt hatte, also nicht nur seinen eigenen Ordensleuten, sondern auch den Mysunsai misstraute… Sie haben panische Angst, begriff Achamian. Das Haus Ikurei hat panische Angst. Er musterte den Kaiserneffen, um ein Anzeichen von Betrug zu finden, entdeckte keines und überschritt die Schwelle. Als er das Tor hinter sich mit einem Knirschen ins Schloss fallen hörte, zuckte er dennoch zusammen.
Die Wände des Gangs flogen an ihnen vorbei, denn Conphas machte mit seinen langen Soldatenschritten mächtig Tempo. Achamian konnte beinahe fühlen, wie die Andiamin-Höhen sich immer mächtiger über ihnen auftürmten, und fragte sich, wie viele Menschen diesen Weg in den Berg genommen haben und nie zurückgekehrt sein
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