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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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üblicherweise deutlich sichtbar um den Hals. Die Versammlung war mit winzigen Objekten durchsetzt, die ihm das Wörtchen »Tod« zuzuflüstern schienen.
    Ich…ab erstes Opfer des neuen Ordenskriegs.
    Dieser bitter ironische Gedanke ließ ihn die Miene verziehen. In rascher Folge sah er erst Bilder von Fanatikern vor sich, die auf ihn zeigten und »Gotteslästerer! Gotteslästerer!« schrien, dann seinen zerschundenen Körper, den der wütende Mob mit ausgestreckten Armen über seinen Köpfen hin und her warf.
    Wie konnte ich nur so dumm sein!
    Vor Angst, Hitze und Gestank wurde ihm übel. Aufs Neue meldete sich der klopfende Schmerz in Unterkiefer und Wange. Er hatte die Menge manch einen, dessen Schläfen nur noch Netze leuchtender Adern schienen und dessen Augen von nahender Ohnmacht umwölkt waren, hochwerfen und auf wellenartig aufsteigenden Armen unter der brennenden Sonne kreuz und quer über den Platz treiben lassen sehen. Dieser Anblick hatte ihn stets mit Staunen und Bestürzung erfüllt, ohne dass er gewusst hatte, warum.
    Nun sah er zur gewaltigen Festung Junriüma hinüber, die auch »Gruft des Stoßzahns« hieß und in steinerner Reglosigkeit über den Menschenmassen thronte. Auf den Wehrgängen tummelten sich Trauben von Priestern und anderen Amtsträgern und sahen zwischen den Zinnen hindurch auf den Platz. Jemand schüttete einen Eimer mit weißen und gelben Blütenblättern aus, die an den schrägen Granitmauern heruntersegelten, bis der Wind sie in alle Richtungen über die Tempelritter trieb, die die unteren Gänge besetzt hielten. Die Junriüma war gleichermaßen Festung und Tempelbezirk – ein gewaltiges Bauwerk, das dazu bestimmt war, ganze Armeen abzuwehren, und dies in der Vergangenheit auch oft getan hatte. Nur die gewölbte Nische des Vordertors verwies auf religiöse Architektur. Flankiert von zwei Pfeilern, waren die Dimensionen dieser Nische so enorm, dass jeder, der darunter stand, klein erschien. Achamian hoffte, Maithanet werde die Ausnahme von dieser Regel sein.
    In den letzten Tagen – zumal nach der strapaziösen Begegnung mit dem Tempelritter – hatte Maithanet Achamians Denken weitestgehend in Beschlag genommen, und der Besucher aus Atyersus hoffte nun, die leibhaftige Gegenwart dieses Mannes wäre ein Erlebnis, das ihn aus seiner Grübelei risse.
    Hat er deine Ergebenheit verdient, Inrau? Ist er dein Leben wert?
    Von hinten hörte Achamian die Versammlungshörner blasen, deren bodenloses Timbre dem der alten Kriegshörner der Sranc so ähnlich war. Der Klang von Hunderten dieser Instrumente hallte durch den großen, leeren Himmel. Rings um Achamian schrien die Leute verzückt los, und ihr Brüllen erreichte langsam die Wucht der gewaltig klagenden Versammlungshörner und übertönte sie schließlich. Der Hörnerklang verlor sich, das Brüllen dagegen schwoll immer weiter an, bis es schien, sogar die Mauern der Junriüma würden Risse bekommen und in sich zusammenstürzen.
    Viele kahlköpfige Kinder in scharlachfarbenem Gewand kamen in langer Reihe aus dem Vordertor der Festung, hüpften barfuß die riesigen Stufen und Terrassen hinunter und schwangen dabei Palmwedel. Das Brüllen ließ so weit nach, dass durch das allgemeine Gemurmel einzelne Schreie vernehmbar wurden. Da und dort stimmte jemand ein religiöses Lied an, doch kaum einer fiel in den Gesang ein, und nach ein paar Takten war es schon wieder still. Die Menge war unduldsam geworden und wurde in nervöser Erwartung des Tempelvorstehers immer leiser.
    Dass alle dir bedingungslos ergeben sind, Maithanet – das muss doch ein tolles Gefühl sein…
    Egal, was Inrau gesagt hatte – Achamian wusste, dass der junge Mann den neuen Tempelvorsteher verehrte, und diese Erkenntnis hatte seine Eitelkeit gekränkt. Er hatte stets großen Wert darauf gelegt, von seinen Schülern bewundert zu werden, und bei niemandem war ihm das so wichtig gewesen wie bei Inrau. Nun war an die Stelle des alten Lehrers ein anderer getreten. Wie konnte er mit jemandem konkurrieren, auf dessen Veranlassung hin Ereignisse wie dieses hier stattfanden?
    Irgendwie aber war ihm genau das gelungen. Irgendwie hatte er dafür gesorgt, dass die Mandati nun im Zentrum der Tausend Tempel über Augen und Ohren verfügten. Hatte seine Gerissenheit Inrau überzeugt, oder war es die Erniedrigung durch Sarcellus gewesen? Oder gar Mitleid?
    Hatte er sich etwa einmal mehr gerade aufgrund seines Scheiterns durchgesetzt?
    Einen Moment lang stand ihm Geshrunni vor

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