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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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gefedert und schließlich als abschreckendes Beispiel vor der Gruft des Stoßzahns postiert werden. Und es steht sogar noch mehr auf dem Spiel als unser Leben. Weit mehr.«
    Esmenet wurde still und war ein wenig erschrocken über diesen Tadel. Sie begriff, dass sie die Abgründe Drusas Achamians mitunter vergaß. Wie oft hatte sie ihn nicht schon in den Armen gehalten, nachdem er aus einem seiner Träume erwacht war! Wie oft hatte sie ihn nicht schon im Schlaf in den seltsamsten Sprachen murmeln hören! Sie sah ihn kurz an und merkte, dass nicht mehr Zorn, sondern Schmerz in seinen Augen stand.
    »Ich erwarte nicht, dass ihr begreift, was auf dem Spiel steht. Ich kann es ja selbst kaum noch ertragen, mich über die Rathgeber plappern zu hören. Aber etwas ist diesmal anders. Ich weiß, dass es dich schmerzt, es in Erwägung zu ziehen, Inrau, aber dein Maithanet…«
    »Er ist nicht mein Maithanet. Er gehört niemandem, und das…« – Inrau zögerte, als beunruhigte ihn seine Hitzigkeit – »… das macht ihn meiner Verehrung wert. Vielleicht hast du recht, und ich begreife nicht ganz, was auf dem Spiel steht, aber ich weiß mehr als die meisten. Und ich mache mir Sorgen, Akka. Ich mache mir ehrlich Sorgen, dass du einmal mehr auf eine nutzlose Mission geschickt worden bist.«
    Als Inrau das sagte, blickte er kurz – und unabsichtlich, wie Esmenet vermutete – auf das verschlungene Hurenzeichen, das auf ihren Handrücken tätowiert war. Sie verschränkte die Arme und schob die Fäuste unter die Achseln.
    Dann ging ihr plötzlich auf unerklärliche Weise das eigentliche Geheimnis hinter all diesen Ereignissen auf. Sie sah beide Männer abwechselnd und mit großen Augen an. Inrau blickte zu Boden, Achamian dagegen beobachtete sie scharf.
    Er weiß es, dachte Esmenet. Er weiß, dass ich ein Talent für diese Dinge habe.
    »Spuck’s aus, Esmi!«
    »Du sagst, die Mandati haben erst vor kurzem erfahren, dass die Scharlachspitzen die Cishaurim bekriegen?«
    »Ja.«
    Sie beugte sich unwillkürlich vor, als sollte sie das Folgende besser flüstern. »Wenn die Scharlachspitzen so etwas zehn Jahre vor den Mandati haben verbergen können, Akka, wie kann dann Maithanet, der erst kürzlich Tempelvorsteher geworden ist, davon wissen?«
    »Was soll das heißen?«, fragte Inrau beunruhigt.
    »Sie hat recht«, sagte Achamian nachdenklich. »Maithanet hätte sich den Scharlachspitzen auf keinen Fall genähert, wenn er nicht genau gewusst hätte, dass der Orden mit den Cishaurim im Krieg liegt. Anderenfalls wäre das zu abwegig. Der stolzeste Orden im Gebiet der Drei Meere hätte sich sonst nie an einem Heiligen Krieg beteiligt. Aber wie hat er davon erfahren?«
    »Vielleicht«, schlug Inrau vor, »haben die Tausend Tempel das einfach zufällig spitzgekriegt – so wie du, nur früher.«
    »Vielleicht«, wiederholte Achamian, »aber unwahrscheinlich. Jedenfalls müssen wir Maithanet unbedingt näher beobachten.«
    Esmenet fröstelte schon wieder, diesmal aber vor Erregung. Die Welt dreht sich um solche Leute, und ich bin dabei. Sie hatte den Eindruck, es rieche nach Wasser und Blumen.
    Inrau betrachtete Esmenet einen Moment und blickte dann seinen Mentor schwermütig an. »Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen… Das kann ich nicht.«
    »Du musst näher an Maithanet herankommen, Inrau. Dein Tempelvorsteher ist viel zu gerissen.«
    »Was?«, fragte der junge Priester mit halbherzigem Spott. »Zu gerissen, um gläubig zu sein?«
    »Aber nein, mein Freund. Zu gerissen, um der zu sein, der er scheint.«
     
     
    SUMNA IM FRÜHSOMMER 4110
     
    Regen. Wenn eine Stadt wirklich alt ist, glitzern Gossen und Pfützen stets schwarz, als habe der Unrat von Jahrhunderten die Straßen mit Verfall imprägniert. Sumna war alt, und was durch seine Gassen rann, schimmerte pechschwarz.
    Die Arme um den Oberkörper geschlungen, musterte Paro Inrau den dunklen Hof. Er war allein. Überall war Wasser zu hören: Dumpf rauschte der Regen herab, von den Dachvorsprüngen plätscherte, in den Gossen gluckerte es. Durch diese Geräusche drang das Klagen der Flehenden, deren gebückte Umrisse von Schmerz und Trauer zeugten. Ihr Singen scholl durch die nassen Straßen und zermürbte Inrau mit seinen langgezogenen Tönen. Litaneien des Leidens. Es gab zwei Stimmen: Die eine war hoch und fragte, warum, oh warum wir leiden müssen; die andere war tief und gab mit der lastenden Würde der Tausend Tempel die ernste Antwort, der Mensch sei zu Leid und Untergang

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