Schattenfall
ihn machst, Akka.
Inrau holte tief Luft und sagte: »Die Scharlachspitzen werden sich am Heiligen Krieg beteiligen.«
Achamian runzelte die Brauen. »Das ist aber nur ein Gerücht, oder?«
»Wahrscheinlich«, entgegnete Inrau und hielt kurz inne. »Aber ich habe es von jemandem aus dem Kollegium der Luthymae gehört. Ich vermute, Maithanet hat den Scharlachspitzen schon vor einiger Zeit die Zusammenarbeit angeboten. Um zu zeigen, dass er es ernst meint, hat er sogar sechs Chorae nach Carythusal geschickt – als Zeichen seines Wohlwollens. Da die Luthymae großen Einfluss auf die Verteilung der Chorae haben, war Maithanet gezwungen, ihnen zu erklären, wozu sein Geschenk an die Scharlachspitzen dienen sollte.«
»Dann stimmt es also wirklich?«
»Ja.« Inrau sah Achamian an, wie ein Hungernder, der eine fremde Münze gefunden hat, einen Geldwechsler ansehen mag. Wie viel ist diese Information wert?
»Großartig, ganz großartig. Das ist wirklich eine wichtige Nachricht.«
Inraus Begeisterung war ansteckend, und Esmenet lächelte unwillkürlich mit ihm.
»Gut gemacht, Inrau«, sagte sie.
»Oh ja«, pflichtete Achamian bei. »Die Scharlachspitzen, Esmi, sind der mächtigste Orden im Gebiet der Drei Meere. Seit dem letzten Ordenskrieg herrschen sie über Ainon…« Doch ihm kamen offenbar zu viele Fragen in den Sinn, um seinen Vortrag fortzusetzen. Achamian hatte stets zu törichten Erklärungen geneigt, obwohl er genau wusste, dass ihr vieles – wie etwa die Bedeutung der Scharlachspitzen – klar war. Doch Esmenet sah ihm das nach, denn seine Erklärungen zeugten schließlich von dem Bedürfnis, sie in sein Leben zu integrieren. In vieler Hinsicht war Achamian ganz anders als andere Männer.
»Sechs Chorae!«, platzte er heraus. »Das ist ein extrem großzügiges Geschenk! Von unschätzbarem Wert!«
Liebte sie ihn dafür? Die Welt schien ihr so klein und gemein, wenn sie allein war, doch wenn er zurückkehrte, war es, als trüge er das ganze Gebiet der Drei Meere im Gepäck. Sie führte ein unterdrücktes Leben in den Katakomben der Armut und der Unwissenheit – kaum aber kam dieser weichherzige, korpulente Mann, der noch weniger nach einem Kundschafter als nach einem Hexenmeister aussah, da war der schwere Deckel, der sonst auf ihrem Dasein lag, eine Zeitlang beiseite geschoben, und Sonne und Leben fluteten herein.
Ich liebe dich wirklich, Drusas Achamian.
»Chorae, Esmi! Für die Tausend Tempel sind das Gottes eigene Tränen. Und von denen verschenkt er sechs an einen Orden von Gotteslästerern! Bemerkenswert.« Beim Nachdenken strich er sich durch den Bart, und seine Finger folgten dabei den fünf silbergrauen Strähnen.
Chorae. Der Gedanke an diese Schmuckstücke erinnerte Esmenet daran, dass Achamians Welt zwar voller Wunder, aber auch ausgesprochen gefährlich war. Das Kirchenrecht sah für Huren – wie für Ehebrecherinnen – die Strafe der Steinigung vor. Das galt, überlegte sie nun, auch für Hexenmeister, wobei es allerdings nur eine Art von Steinen gab, die ihnen gefährlich werden konnte – dann aber auch gleich so, dass eine einzige leichte Berührung tödlich war. Zum Glück gab es aber nur wenige Chorae, während es andererseits auf Erden mehr als genug Steine gab, um Huren zu töten.
»Aber warum?«, fragte Inrau mit trauriger Stimme. »Warum rückt Maithanet seinen Heiligen Krieg ins Zwielicht, indem er einen Orden einlädt, sich daran zu beteiligen?«
Wie schwer es für ihn sein muss, dachte Esmenet, im Spannungsfeld zweier so unterschiedlicher Männer wie Achamian und Maithanet zu stehen.
»Weil ihm nichts anderes übrig bleibt«, gab Achamian zurück. »Sonst wäre der Heilige Krieg verloren. Schließlich herrschen in Shimeh die Cishaurim.«
»Aber auf die wirken die Chorae genauso tödlich wie auf die Hexenmeister.«
»Schon möglich… Aber in einem Krieg wie diesem bedeutet das kaum einen Unterschied. Ehe die Inrithi mit ihren Chorae die Cishaurim erledigen können, müssen sie das Heer der Kian bezwingen. Nein, Maithanet braucht die Hilfe eines Ordens.«
Toll, so ein Krieg!, dachte Esmenet. Als sie klein war, war sie immer ganz bei der Sache gewesen, wenn jemand davon erzählt hatte. Und selbst heutzutage fragte sie die Soldaten, kaum dass sie mit ihnen geschlafen hatte, nach ihren Kriegserlebnissen aus. Für einen Augenblick standen das Schlachtgetümmel und die im Gewitter der Hexenblitze funkelnden Schwerter fast leibhaftig vor ihr.
»Und für Maithanet«, fuhr
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