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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Wand. Die Lichtstrahlen strömten ungehindert herein und ließen die Marmorsäulen der Vorhalle und die Wandteppiche zwischen diesen Säulen golden schimmern. Überall auf dem Podium waren Räuchergefäße aufgestellt, aus denen der Duft parfümierter Öle stieg, den eine leichte Brise mit dem Geruch von Himmel und Meer mischte.
    »Gibt es etwas Neues von meinem Neffen?«, fragte Ikurei Xerius III. seinen Obersten Berater Skeaös. »Gibt es Nachricht von Conphas?«
    »Nein, gottgleicher Kaiser«, antwortete der alte Mann. »Aber alles steht bestens. Dessen bin ich sicher.«
    Xerius schürzte die Lippen und gab sich alle Mühe, heiter zu wirken. »Dann fahrt mit Eurem Vortrag fort, Skeaös.«
    Mit einem Rascheln seiner seidenen Gewänder wandte der runzlige Berater sich den übrigen Amtsträgern zu, die auf dem Podium versammelt waren. Solange Xerius sich erinnern konnte, war er stets von Soldaten, Gesandten, Sklaven, Kundschaftern und Astrologen umgeben gewesen. Solange er sich erinnern konnte, war er der Mittelpunkt dieser aufgestörten Herde, der Pflock, an dem der zerlumpte Mantel des Kaiserreichs hing. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er keinem seiner Untergebenen je in die Augen gesehen hatte – kein einziges Mal. Wer nicht von kaiserlichem Geblüt war, dem war es streng untersagt, dem Blick des Herrschers zu begegnen. Diese Erkenntnis erschreckte Xerius zutiefst.
    Von all den Leuten hier kenne ich einzig und allein Skeaös.
    Der Oberste Berater wandte sich an die Umstehenden: »Die kommende Audienz wird anders sein als alle, die ihr bisher erlebt habt. Wie ihr wisst, ist der erste Hohe Herr der Inrithi eingetroffen. Diese Versammlung ist das Tor, durch das er und seinesgleichen schreiten muss, um sich dem Heiligen Krieg anzuschließen. Wir können ihren Zug durch unser Land weder verbieten noch besteuern, doch wir können diese Herren erkennen lassen, dass unsere Interessen sich mit dem decken, was richtig und wahr ist. Schweigt während der Audienz, werdet nicht unruhig und weicht nicht von der Stelle. Vermittelt den Eindruck, streng, aber nicht ohne Mitgefühl zu sein. Wenn und nur wenn dieser Narr den Vertrag unterzeichnet, gehen wir von unserer protokollarischen Kälte ab. Dann dürft ihr euch mit seinem Gefolge unterhalten und von dem kosten, was die Sklaven an Essen und Trinken anbieten. Aber hütet eure Zunge. Verratet nichts. Absolut nichts. Ihr mögt glauben, ihr stündet außerhalb des Kreises der Ereignisse, aber dem ist nicht so. Ihr seid dieser Kreis. Macht keinen Fehler, Freunde – das Kaiserreich selbst steht auf dem Spiel.«
    Der Oberste Berater sah zu Xerius hinüber. Der nickte.
    »Es ist soweit«, rief Skeaös und wies auf die gegenüberliegende Seite des Kaiserlichen Audienzsaals.
    Die großen Steintüren aus kyraneischen Zeiten, die aus den Ruinen von Mehtsonc stammten, wurden feierlich geöffnet.
    »Seine Eminenz«, rief eine Stimme, »Lord Nersei Calmemunis, Statthalter von Kanampurea.«
    Xerius verspürte eine merkwürdige Kurzatmigkeit, als er seine Saaldiener die Delegation aus Conriya durch die Eingangshalle führen sah. Er war überzeugt, Männer, die Statuen ähnelten, würden Weisheit ausstrahlen, und hatte sich darum vorgenommen, reglos zu bleiben, musste nun aber feststellen, dass er an den Quasten seines Leinenkilts zupfte. Mit seinen fünfundvierzig Jahren hatte er unzählige Bittsteller empfangen und so manche Botschaft von Krieg und Frieden aus allen Ecken des Gebiets der Drei Meere erhalten, doch Skeaös hatte recht: Eine Abordnung wie diese hatte er noch nie zu Gast gehabt.
    Das Kaiserreich selbst …
    Monate waren vergangen, seit Maithanet den Heiligen Krieg gegen die Heiden von Kian erklärt und dadurch Inrithi aus allen Ecken der Drei Meere – egal ob fromm, blutdürstig oder habgierig – wie Erdöl in Brand gesetzt hatte. Schon jetzt beherbergten die Wäldchen und Weinberge vor den Mauern von Momemn Tausende dieser sogenannten Anhänger des Stoßzahns. Doch bis zur Ankunft von Calmemunis waren sie eigentlich nur ein lärmender Haufen gewesen, zu dem Freie von niedrigem Stand, Bettler, Priester ohne Pfründe und sogar (so jedenfalls war es Xerius gesagt worden) eine Gruppe Aussätziger gehörten – insgesamt also Menschen, die fast nur auf Maithanets Versprechungen ihre Hoffnungen setzen konnten und kaum eine Vorstellung davon hatten, zu welch furchtbarer Aufgabe ihr Tempelvorsteher sie ausersehen hatte. Solche Leute waren die Spucke des Kaisers nicht wert – und

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