Schattenfall
Utemot querten den Kiyuth im Schutz dieser Angreifer. Als sie das andere Ufer hochritten, hinterließen sie kräftige Wasserspuren. Dann galoppierten sie dorthin, wo sie sich der Kolonne Nasueret gegenüber aufstellen sollten. Cnaiür wusste, dass dieser Wechsel der Position heikel war, und rechnete die ganze Zeit mit Hörnerklang, der das Vorrücken der Nansur ankündigen würde. Aber der Oberbefehlshaber ließ seine Kolonnen nicht von der Leine, so dass die Scylvendi sich am kaiserlichen Ufer des Flusses in einem großen Halbmond sammeln konnten.
Was mochte Conphas im Schilde führen?
Auf der anderen Seite einer Ebene, deren ungleichmäßiger Steppenbewuchs an den Bartflaum eines Jugendlichen erinnerte, erwartete sie das kaiserliche Heer. Cnaiür musterte es Reihe für Reihe – all diese Schilde tragenden, schwer an ihrer Rüstung und ihren Insignien schleppenden Gestalten, die rote Lederröcke trugen und eiserne Harnische und Kettenpanzer umgeschnallt hatten. Unzählige dieser namenlosen Soldaten würden den frevelhaften Einmarsch ins Land der Scylvendi mit dem Leben bezahlen.
Hörner erklangen, und Tausende von Schwertern wurden synchron gezückt, und dennoch schien es, als läge eine unheimliche Stille auf dem Schlachtfeld: ein letztes gemeinsames Atemholen vor dem großen Morden.
Eine Brise wehte durchs Tal und trug den Geruch von Pferden, verschwitztem Leder und ungewaschenen Männern durch die Luft. Das Scheuern und Klirren von Waffenfutteralen gegen Panzer ließ Cnaiür an die eigene Rüstung denken. Mit leichten Händen prüfte er die Riemen seines weiß emaillierten Helms (einer Trophäe seines Siegs über Hasjinnet bei Zirkirta) und die Schnürung seines Schuppenpanzers, schwang dann den Oberkörper im Sattel einmal vor und zurück, um die Muskeln zu lockern und die Spannung zu lindern, und richtete schließlich ein geflüstertes Gebet an den Totengott.
Zwischen den zum Angriff versammelten Stämmen wurden einmal mehr Pferdeschwänze zu Signalzwecken in die Luft gereckt, und Cnaiür rief seinen Stammesbrüdern Befehle zu. Die erste Welle von Lanzenreitern bezog auf gleicher Höhe mit ihm Aufstellung, und die Kämpfer nahmen ihre Schilde, die sie bisher an einer Schnur über der Schulter getragen hatten, in die Hand.
Cnaiür spürte Bannuts musternden Blick, wandte sich zu ihm und sah sich von seiner Miene beunruhigt.
»Du«, sagte der alte Krieger, »wirst heute gewogen, Cnaiür von Skiötha – denn das Gewogenwerden höret nimmer auf.«
Cnaiür musterte sein Gegenüber so wütend wie erstaunt. »Das ist wirklich nicht der passende Moment, Onkel, um alte Wunden aufzureißen.«
»Im Gegenteil: Der Augenblick ist günstig wie nie.«
Sorgen, Argwohn und Vorahnungen bedrängten den Häuptling, doch für all dies war keine Zeit. Ringsum lösten sich bereits einzelne Reiterverbände aus der Masse der Krieger und ritten auf die Schlachtreihen des kaiserlichen Heeres zu. Die Pilgerfahrt war vorbei; der Gottesdienst stand bevor.
Cnaiür stieß einen Schrei aus und führte die Utemot im Trab in die Schlacht. Etwas wie Furcht packte ihn, das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Innerhalb von Sekunden waren sie in Reichweite der Bogenschützen der Nansur. Cnaiür brüllte, und seine Lanzenreiter galoppierten mit gegen Schultern und Sattelknopf gestützten Schilden los und preschten durch verkümmerte Ledersträucher. Die ersten Pfeile pfiffen mit einem Geräusch, als würde Stoff entzweigerissen, auf sie nieder und bohrten sich in die Schilde, in den Boden, ins Fleisch. Einer streifte Cnaiürs Schulter, ein anderer drang etwa einen Finger tief durch seinen mit mehreren Lederschichten bespannten Schild.
Nun donnerten sie über eine ebene Grasfläche und gewannen dabei unheilvollen Schwung. Wieder gingen Pfeile auf sie nieder und holten manchen vom Pferd. Da und dort wieherte ein getroffenes Tier auf, dann war wieder nur das Sturmgrollen von tausend Hufen zu hören. An den Rücken seines Pferdes geduckt, beobachtete Cnaiür, wie die Fußsoldaten der Kolonne Nasueret sich gegen den Ansturm der Reiter wappneten. Sie senkten ihre Piken, die länger waren als alle, die Cnaiür je gesehen hatte. Das verschlug ihm kurz den Atem, doch er spornte sein Pferd zu noch schnellerem Lauf, legte die Lanze ein und rief den Kampfschrei der Utemot. Seine Stammesbrüder stimmten ein, und die Luft zitterte, als sie »Kämpfen und beten!« brüllten. Gras und Wiesenblumen sausten unter ihm dahin. Die Mauer aus Piken,
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