Schattenfall
Brüder waren das gewesen. Er strotzte vor unversöhnlichem Hass, und dieser Hass sorgte dafür, dass er nicht aufgab – egal, wie viele Demütigungen sie auf ihm abluden, wie viele geflüsterte Bemerkungen und reservierte Blicke ihm galten. Ob Feinde oder Verwandte: Er würde alle und jeden umbringen, aber aufgeben würde er nicht.
Er fasste das wimmelnde Heer des Conphas ins Auge.
Ob ich dich heute töte, Oberbefehlshaber? Ich glaube schon.
Unvermutete Schreie ließen ihn nach links schauen. Über die dicht gedrängten Waffen und Reiter hinweg sah er Xunnurits Standarte wehen. Daneben wurden gefärbte Pferdeschwänze auf und ab geschwenkt – das Zeichen für langsames Vorrücken. Weiter im Norden hatten erste Gruppen von Scylvendi begonnen, von den Hängen in die Ebene zu marschieren. Cnaiür rief seinen Stammesbrüdern etwas zu und trieb sein Pferd Richtung Fluss, wobei er den Klee zertrampelte und die Hummeln verscheuchte. Der Tau war inzwischen verdunstet, und das hohe Gras raschelte kratzig um die Läufe seines Pferdes. Es roch nach sich erwärmender Erde.
Das Heer der Scylvendi erfüllte allmählich das ganze östliche Tal. Als Cnaiür sich durch das Gestrüpp der Schwemmebene schlug, kamen Bannut und Yursalka durchs offene Gelände galoppiert. Lederne Köcher schwangen ihnen von den Hüften, und ihre Schilde schlugen gegen die Hinterbacken der Pferde. Sie setzten über den einen oder anderen Strauch, und bei einem kleinen Geländeeinschnitt wäre Bannut beinahe vom Pferd gestürzt. Sekunden später brachten sie ihre Tiere neben dem von Cnaiür zum Stehen.
Die beiden schienen noch schlechter gelaunt als sonst. Nach einem verschwörerischen Seitenblick auf Bannut sah Yursalka Cnaiür mit ausdruckslosen Augen an. »Wir sollen die südlichste Furt erobern und dann am linken Flügel des Gegners gegenüber der Kolonne Nasueret Stellung beziehen. Falls Conphas vorrückt, ehe wir uns formiert haben, sollen wir uns nach Süden zurückziehen und ihn von den Seiten her angreifen.«
»Habt ihr das von Xunnurit persönlich?«
Yursalka nickte vorsichtig. Bannut sah grimmig vor sich hin; in seinen alten Augen funkelte böse Selbstgefälligkeit.
Cnaiür schaukelte im Rhythmus der Gehbewegung seines Pferdes, blickte dabei angestrengt zur anderen Seite des Kiyuth hinüber und musterte die purpurroten Banner auf dem linken Flügel des kaiserlichen Heeres. Rasch entdeckte er die Standarte der Kolonne Nasueret, die die Schwarze Sonne der Nansur mit einem auf halber Höhe schwebenden Adler und einem darunter gestickten goldenen Schriftzug zeigte, der im Scheyischen für die Zahl Neun stand.
Bannut räusperte sich wiederum. »Die Neunte Kolonne«, sagte er anerkennend. »Dass der König der Stämme uns diesen Gegner gegeben hat, ist eine Auszeichnung.« Zwar war die Kolonne Nasueret normalerweise an der Südgrenze stationiert, um das Kaiserreich gegen die Kianene zu verteidigen, doch ihr Ruf, zu den besten Truppen Nansurs zu gehören, hatte sich bis hoch in den Norden verbreitet.
»Kann sein – vielleicht will er uns aber auch umbringen«, gab Cnaiür zu bedenken. Möglicherweise hoffte Xunnurit, den herben Worten, die sie am Vortag gewechselt hatten, würden nun harte Konsequenzen folgen.
Die wünschen mir allesamt den Tod.
Yursalka schimpfte etwas Unverständliches vor sich hin und sprengte davon, um sich – wie Cnaiür vermutete – ehrenvollere Mitstreiter zu suchen. Bannut blieb wortlos an seiner Seite.
Als sie dem Kiyuth nah genug waren, um zu spüren, dass er aus eisigen Gletscherhöhen kam, verließen einige Abteilungen die Linie der Scylvendi und pflügten durch die Furten des Flusses. Cnaiür beobachtete diese Truppen ängstlich, denn ihm war klar: Was ihnen in den nächsten Minuten widerführe, würde viel über die Absichten des Conphas verraten. Die kaiserlichen Soldaten auf der anderen Seite des Flusses wichen vor den Angreifern zurück; kurz darauf verließ sie der Mut und sie nahmen – von Pfeilregen überschüttet – Reißaus. Die Scylvendi setzten den Fliehenden nach, die sich zum Gros des kaiserlichen Heeres zu retten suchten, ritten dann parallel zur ersten Schlachtreihe der Nansur und schossen dabei ganze Wolken von Pfeilen ab, während ihre Pferde in gestrecktem Galopp dahinrasten. Immer mehr Männer, die ihre Pferde nur durch den Einsatz von Sporen, durch Schreie und mit den Knien lenkten, stießen zu ihnen. Bald überrannten sie zu Tausenden die kaiserlichen Linien.
Cnaiür und seine
Weitere Kostenlose Bücher