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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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gestaffelt), doch es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Dass alles um ihn herum zu so absurder Größe aufgebläht war, lastete fast greifbar auf ihm. Wie konnte so etwas geschehen? Wie konnten ganze Völker…
    Er senkte den Kopf, rieb sich den Nacken und spulte einmal mehr die Litanei seiner Selbstbezichtigungen ab, die solche peinigenden Gedanken stets an den Rand drückten. Vor seinem geistigen Auge tauchte sein Vater Skiötha auf, dessen Gesicht langsam schwarz wurde, während er im Dreck erstickte.
    Als Cnaiür aufschaute, war sein Kopf so leer wie seine Miene. Conphas. Ikurei Conphas stand im Mittelpunkt dessen, was nun kommen würde – nicht Cnaiür von Skiötha.
    Eine Stimme ließ ihn zusammenfahren. Sie gehörte Bannut, dem Bruder seines toten Vaters.
    »Warum stehen die bloß so nah bei ihrem Lager?« Der alte Krieger räusperte sich, und das klang wie das gedämpfte Wiehern eines Pferdes. »Man sollte doch erwarten, sie würden unseren Angriff schon am Fluss mit geballter Kraft abwehren.«
    Cnaiür wandte sich wieder der Musterung des kaiserlichen Heeres zu. Das bevorstehende Blutvergießen ließ einen merkwürdigen Übermut in ihm aufsteigen, der als nervöse Energie durch seine Glieder flutete. »Weil Conphas eine Entscheidungsschlacht braucht. Er will, dass wir unsere Kämpfer auf seiner Seite des Flusses aufstellen. Dadurch schränkt er unsere Beweglichkeit ein und zwingt uns eine Auseinandersetzung auf Gedeih und Verderb auf.«
    »Spinnt denn der?«
    Bannut hatte recht. Conphas war verrückt, wenn er glaubte, seine Männer könnten sich in offener Schlacht durchsetzen. In ihrer Verzweiflung hatten die Kianene vor acht Jahren in Zirkirta einen ähnlichen Versuch unternommen und sich damit eine katastrophale Niederlage eingehandelt. So waren die Scylvendi sicher nicht kleinzukriegen.
    Ein Lachen drang aus dem Gemurmel der um ihn versammelten Stammesbrüder. Cnaiür riss den Kopf herum. Galt das ihm? Lachte ihn da etwa jemand aus?
    »Nein«, antwortete er abwesend und beobachtete seine Männer über Bannuts Schulter hinweg von der Seite. »Ikurei Conphas ist nicht verrückt.«
    Bannut spuckte auf den Boden, und Cnaiür nahm an, dies gelte dem Oberbefehlshaber der Nansur. »Du redest, als würdest du ihn kennen.«
    Cnaiür sah den alten Mann zornig an. Was mochte die Empörung bedeuten, die in seiner Stimme mitschwang? Ja – auf gewisse Weise kannte er Conphas tatsächlich. Bei seinem Überfall auf das Kaiserreich im letzten Herbst hatte er einige Nansur-Soldaten gefangengenommen, die so von ihrem Oberbefehlshaber geschwärmt hatten, dass Cnaiürs Interesse geweckt war. Unter Androhung der Folter hatte er von ihnen viel über Ikurei Conphas erfahren, von seiner Brillanz in den Kriegen gegen die Galeoth, seinen waghalsigen Strategien und seinem neuen Exerzierreglement. Seither war ihm klar, dass der Neffe des Kaisers ganz anders war als alle, denen er je auf dem Schlachtfeld begegnet war. Doch dieses Wissen war bei alten Schlangen wie Bannut, der ihm die Ermordung seines Vaters nie vergeben hatte, komplett verschwendet.
    »Reite zu Xunnurit«, befahl Cnaiür, obwohl er genau wusste, dass der König der Stämme einen Boten der Utemot links liegen lassen würde. »Finde heraus, was er vorhat.«
    Auf dieses Manöver fiel Bannut nicht herein. »Ich nehme Yursalka mit«, sagte er heiser. »Der hat erst im Frühjahr eine von Xunnurits Töchtern geheiratet, ein entstelltes Mädchen. Vielleicht erinnert sich der König der Stämme noch an diesen Akt der Großmut.« Bannut spuckte ein letztes Mal aus, als wollte er seinen Worten dadurch Nachdruck verschaffen, und ritt zu den übrigen Utemot hinüber.
    Cnaiür saß lange trostlos zu Pferde und sah wie betäubt den Hummeln zu, die direkt unter ihm zwischen wippenden violetten Kleeblüten herumbrummten. In der Ferne schlugen die Nansur noch immer auf ihre Schilde. Die Sonne nahm das Tal langsam in den Schwitzkasten. Pferde stampften unruhig auf.
    Jetzt klangen noch mehr Hörner herüber, und die Nansur beendeten ihren Lärm. Der Groll seiner murrenden Stammesbrüder nahm zu, und aufkeimender Zorn verdrängte seinen Kummer. Immer verständigten sie sich untereinander, doch nie sprachen sie mit ihm – als wäre er tot! Er dachte an all die, die er in den ersten Jahren nach dem Tod seines Vaters umgebracht hatte, an jene Utemot also, die das Weiße Zelt ihres Häuptlings von der Schande seines Namens hatten befreien wollen. Sieben Cousins, ein Onkel und zwei

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