Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
„Ich weiß es nicht. Die Burg wurde vor mehr als zweihundert Jahren erbaut und stand so, mehr oder weniger unverändert, mitsamt der Stadtbefestigung. Leider hat der Mainzer Erzbischof, Graf Diether von Ysenburg, vor zwei Jahren damit begonnen, sie umfassend zu befestigen. Ich weiß nicht, wie weit die Arbeiten heute gediehen sind, denn ich war ja ein Jahr lang nicht mehr hier. Aber ich fürchte, dass die Burg keine wirkliche Schwachstelle hat. Wir müssen es anders irgendwie anders machen. Nur wie?“
„Wo ist die stärkste Seite der Burg?“
„Die stärkste Seite? Ich denke, wir wollen hinein?“, fragte Berthold sichtlich verdutzt. Auch Augustein sah Petz mit einem zweifelnden Blick an.
„Ja, sicher wollen wir das. Aber wo, denkst du, werden wohl die meisten Wachen postiert sein? Wo wird man eher auf Eindringlinge achten? Welche Seite deckst du mit dem Schild, die schwache oder die starke? Das Stärkste kann oft das Schwächste sein, weil man ihm am wenigsten Beachtung schenkt!“
Berthold begriff. „Du meinst, dass die Burg von der stärksten Seite her weniger bewacht wird, weil …“
„Weil man sich so sicher ist, dass da ohnehin niemand eindringen kann“, vollendete Petz den Satz. „Genau! Also, welches ist die starke Seite? Jede Anlage hat eine schwache und eine starke Seite.“
Berthold überlegte. Die starke Seite der Stadt war mit Sicherheit nicht die Südseite, in die die Burgwehranlage integriert war. Dort, vom Obertor her, wäre sicher ein Eindringen leichter gewesen, waren dort doch der Graben wesentlich schmaler und die Mauer einige Fuß niedriger. Doch wahrscheinlich hatten das auch die Dreieichenhayner erkannt und dort deshalb mehr Wachen aufgestellt. Die starke Seite war ganz eindeutig die Nordseite. Dort führte der einzige Zugang nämlich über einen wenigstens zweihundert Schritte langen Wall, der den Burgweiher, in den der die ganze Stadt umfließende Burggraben mündete, durchschnitt. Er war gut vom Wehrturm des Untertors aus einzusehen, in dem die Stadtwache untergebracht war und an den sich die massive Wehrmauer rund um die Stadt anschloss.
Nachdem Berthold Petz und Augustein die Gegebenheiten vor Ort geschildert hatte, sah er sie fragend an. „Wie gelangen wir unbemerkt in die Burg und auch wieder hinaus?“
Petz als kampferprobter Stratege war ganz in seinem Element. „Vor allem Entschlossenheit wird sich auszahlen“, erklärte er. „Also, Berthold, du sagst, dort sei ein langer Wall. Gut, dann werden sie den im Auge haben – sofern sie überhaupt schauen, denn Mauern geben dem Gegner eine trügerische Sicherheit, wie wir heute zu unserem Vorteil festgestellt haben. Wir werden also schwimmen. Und zwar am Wall entlang bis zur Mauer, die wir erklimmen. Da es sich um eine begehbare Wehrmauer handelt, wird sich eine Stiege oder Treppe finden, mit deren Hilfe wir ins Innere der Burg gelangen.“
Augustein war wenig angetan von diesem Plan. „Du sagst so einfach, dass wir hineingelangen. Aber wie? Petz, ich bin nicht in eurer körperlichen Verfassung und nicht imstande, an einem Strick eine vielleicht dreißig oder mehr Fuß hohe Mauer zu erklimmen. Selbst wenn wir das schaffen, wie kommen wir wieder hinaus? Wir werden im besten Fall einen – verzeih mir Berthold, aber ich muss es sagen – halbtot geprügelten Mann mit uns schleppen, der dieses Kunststück wohl noch weniger vollbringen kann.“
„Augustein hat recht, Petz. Das ist leichter gesagt als getan. Für das Erklimmen der Mauer habe ich schon eine Idee, die klappen könnte, aber für das Hinausgelangen sehe ich noch keine Möglichkeit.“
Petz schmunzelte die beiden an. „Du hast eine Idee, wie wir hineingelangen? Gut. Denn ich habe eine Idee, wie wir hinausgelangen. Ich brauche dazu lediglich einen alten Leinensack, groß genug, dass ein erwachsener Mensch hineinpasst. Was brauchst du?“
„Holz und Seile. Wir bauen uns eine Leiter. Ich werde Alwin sagen, dass er die rechte Menge armdicke Stämme zusammenstellt und auch einige Fuß feste Stricke. Aber jetzt muss ich noch mal fort!“
„Fort? Jetzt? Wohin, Berthold?“, fragte Augustein.
„Ich bin bald zurück. Ich muss einen Schwur erfüllen, den ich gegeben habe.“
„Sei vorsichtig und beeile dich!“, mahnte Petz. „Wir müssen zeitig aufbrechen.“
„Ja, Petz, nur keine Sorge.“
Kurz darauf ritt Berthold im Schutze der Dämmerung vom Hof. Etwas oberhalb des Gutes, am alten Nussbaum, bog er rechts ab. Er folgte dem Weg bergab und dann nach
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