Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
und sagte dann: „Du hast gesagt, dass niemand ausschließen kann, dass alles möglich ist, nur dass manches wahrscheinlicher sei, als etwas anderes, wenn ich es sehe und nicht ein anderer.“
„Richtig. Und warum ist das so? Wovon hängt das ab?“
Wieder musste Berthold sich besinnen.
„Du sagtest, das hänge vielleicht von meiner Begabung ab. Von mir und wie weit ich meine Ahnungen zulasse.“
„Sehr gut, Berthold, ich sehe, du bist aufmerksam gewesen“, freute sich Petz nicht ohne Stolz. Doch dann wurde er wieder ernst und sah Berthold tief in die Augen.
„Aber nun will ich dich etwas fragen. Bist du gläubig? Ich meine, gehst du immer in die Kirche, wenn es geboten ist? Lebst du ein Leben wie ein Mönch, betest fünfmal oder mehr am Tag, hältst alle Fastenzeiten ein und hast niemals der fleischlichen Lust gefrönt? Warst du immer, und ich meine immer, ehrlich, aufrichtig und zufrieden, wie es von einem wahren Christen verlangt wird? Hast du nie gestohlen und niemals einen Vorteil genommen? Kurz: Hast du stets die zehn Gebote treulich eingehalten und ein gottgefälliges Leben geführt, wie es die heilige römische Kirche verlangt? Warst du so? Bist du so? Kannst du es auf das Leben deiner Eltern schwören?“
Berthold war bleich geworden.
„Was … was soll das, Petz?“, stammelte er.
„Hör auf zu stammeln und gib mir eine Antwort, Berthold. Ja oder Nein?“
„Sicher, das meiste kann ich …“
„Ja oder Nein?“, donnerte Petz und hieb mit der Faust auf den Tisch, dass der Kerzenleuchter wackelte.
„Nein, nein, nein!“, schrie Berthold. „Was willst du? Wer bist du, dass du mir solche Fragen stellst? Nein, ich bin nicht so gewesen und bin es auch heute nicht. Das ist niemand.“
Petz entspannte sich wieder und fuhr mit sanfter Stimme fort: „Das wollte ich hören. Niemand ist so, denn das ist auch unmöglich. Der Mensch ist sündig, weil er die Sünde braucht, um das Gute erst zu erkennen. Es gibt kein Licht ohne Schatten, keinen Tag ohne Nacht und keinen Frieden ohne Krieg. Aber entscheidend ist nicht, dass niemand so ist, sondern dass du nicht so bist. Und jetzt die Ohren aufgesperrt, Berthold Graychen, und merke dir gut, was ich sage und denke gründlich darüber nach: Wenn du nicht ein solch perfekter Christ bist, warum sollte der allmächtige Gott dann ausgerechnet dich mit einer eine solchen Gabe ausstatten? Weshalb gibt er gerade dir, dem fehlbaren und ungenügenden Sünder, die Möglichkeit, Dinge zu sehen und zu ahnen, die andere nicht einmal erträumen? Warum gibt er sie nicht einfach einem dieser Klosterbrüder? Die meisten von ihnen sind zweifelsohne ein bedeutendes Stück näher an der Heiligkeit als du es jemals sein wirst. Wenn Gott wirklich will, was in der Bibel steht und was die Pfaffen von den Kanzeln heucheln, warum gibt er dir diese Gabe und nicht einem Besseren? Ich werde es dir sagen: Weil Gott und die Wahrheit nur wenig miteinander zu tun haben. Vielleicht ist Gott sogar die reine Wahrheit. Ich maße mir nicht an, dies zu beurteilen. Doch glaube mir, es ist nicht der Gott des Papstes und es ist nicht der Gott, der dir durch seine Kirche verbieten lässt, deinen Kopf und dein Herz zu benutzen. Es ist ein anderer Gott.“
„Du bist ein Ketzer!“, entfuhr es Berthold.
Petz lachte: „Ja, gewiss bin ich das. Das höre ich nicht zum ersten Mal und sicher würde ich prächtig brennen auf einem Scheiterhaufen der Inquisition. Ich, dem das Öl der Ketzerei aus jeder Pore quillt, würde lichterloh aufgehen wie eine Fackel. Aber glaube mir, nichts würde ich mehr genießen als einen Disput mit einem Inquisitor. Er müsste mir vieles erklären. Er könnte es aber nicht, denn was ich weiß, dass weiß ich.“
„Deine Worte machen mir Angst.“
„Ich habe dich gewarnt, aber du wolltest wissen und erkennen. Damit hast du gerade begonnen. Und im Übrigen ist das nur meine ganz persönliche Meinung. Es steht dir völlig frei, eine andere Meinung zu haben. Sie muss nur der Wahrheit genügen und deinem innersten Gefühl entsprechen, das ist alles.“
Petz erhob sich und schob seinen Schemel energisch und geräuschvoll nach hinten. „Genug für heute. Lass uns schlafen, Berthold. Ich muss morgen noch vor Sonnenaufgang aufbrechen.“
Auch Berthold stand auf, jedoch behutsamer und nachdenklicher. „Petz, du bist mir noch eine Antwort schuldig.“
Petz drehte sich um und fragte scheinheilig: „Ach, welche denn?“
„Wer bist du?“
Petz grinste. „Vertraust du
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