Schattenfeuer
Sie hatte Angst, zu langsam zu sein, um dem Ungeheuer zu entkommen, aber schon nach kurzer Zeit erreichte sie das Ende des Dachbodens und stieß an die Wand, die diesen Motelflügel begrenzte.
Die junge Frau gab ein leises Wimmern von sich, als sie begriff, in eine Sackgasse geraten zu sein. Sie wandte sich nach rechts, hoffte inständig, daß sich der Dachboden dort fortsetzte. Nach einigen Metern fühlte sie vor sich einen Betonblock, der die beiden Teile des U-förmigen Gebäudes separierte, vielleicht eine Brandmauer. Mit beiden Händen tastete sie über das Hindernis, strich mit den Fingerkuppen über rauhen Stein und porösen Mörtel, rechnete jeden Augenblick damit, von großen Klauenpranken gepackt zu werden.
Hinter ihr stieß das Eric-Etwas ein wortloses, triumphierendes Kreischen aus, ein gieriges Heulen, das das Prasseln des Regens übertönte und nur wenige Zentimeter von Rachaels Ohren entfernt zu erklingen schien.
Sie schnappte erschrocken nach Luft und drehte den Kopf. Sie hatte geglaubt, mindestens eine halbe Minute Zeit zu haben, um sich etwas einfallen zu lassen, doch jetzt mußte sie sich der entsetzlichen Erkenntnis stellen, daß sie in der Falle saß. Zum erstenmal seit dem Beginn ihrer Flucht über den Dachboden sah sie die blitzenden Augen des Monstrums. Die in einem grünlichen Ton glühende Pupille veränderte sich weiter und wies bereits größere Ähnlichkeiten mit dem orangefarbenen Schlangenauge auf. Der Dämon war so nahe, daß sie den Haß in seinem Blick sehen konnte. Es... es schob sich nur knapp zwei Meter hinter ihr über den Balken.
Der Atem des Wesens stank.
Rachael wußte, daß es sie ganz deutlich vor sich sah.
Es streckte die Arme nach ihr aus.
Sie spürte, wie die Krallen der großen Hände nach ihrem Bauch zielten. Die junge Frau preßte sich an den Betonblock. Denk nach. Denk nach.
Wenn sie nicht sofort etwas unternahm, war sie erledigt, eine leichte Beute für das Ungeheuer dicht hinter ihr. Des halb blieb Rachael nichts anderes übrig, als sich der Gefahr zu stellen, die sie bisher gemieden hatte. Sie zögerte nicht, ließ sich einfach zur Seite rollen, herunter von dem stabilen Träger, auf eine der Isolationsflächen. Das Fiberglas gab sofort unter ihr nach, und Rachael fiel, fiel durch die Decke eines Motelzimmers, klammerte sich an die Hoffnung, nicht auf den Rand eines Schranks oder eine Stuhllehne zu prallen. Wenn sie sich etwas brach, gab es keine Aussichten mehr, die Flucht fortzusetzen...
Sie landete mitten in einem alten Bett, dessen Matratze längst Schimmel angesetzt hatte. Sporen wirbelten wie Staub davon, und ein intensiver Modergeruch stieg der jungen Frau in die Nase, weckte Übelkeit in ihr. Gleichzeitig füllte sich ihr innerer Kosmos mit Erleichterung darüber, unverletzt und am Leben zu sein.
Über ihr kletterte das Eric-Ungeheuer durch das Loch in der Decke. Es hielt sich am Balken fest und schob sich mit schlangenartiger Eleganz durch die Öffnung.
Rachael sprang vom Bett herunter, taumelte durch das dunkle Motelzimmer und suchte nach einer Tür.
In der Wohnung des Verwalters fand Ben die gesplitterte Schlafzimmertür, doch im sich daran anschließenden Raum hielt sich ebensowenig jemand auf wie im Wohnzimmer und der Küche. Shadway sah auch in der Garage nach, aber Rachael und Eric blieben verschwunden.
Er erinnerte sich an den alarmierten Tonfall Whitneys, kehrte durch das Apartment ins Büro zurück und betrat den Hof. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Bewegung am Ende des ersten Flügels.
Rachael. Trotz des Regens und der dunklen Nacht erkannte er sie auf den ersten Blick.
Sie lief aus einem der Motelzimmer, und Ben rief ihren Namen. Die junge Frau sah auf, wandte sich zur Seite und eilte auf ihn zu.
»Lauf, Benny!« rief sie. »Um Himmels willen - lauf!«
Shadway blieb an Ort und Stelle stehen, war nicht dazu bereit, den hilflosen Whit an der Trennmauer zurückzulassen. Und mit seinem alten Freund in den Armen konnte er nicht schnell genug fliehen.
Dann sah er das Etwas, das hinter Rachael aus dem Zimmer stürzte, und plötzlich wünschte er sich nichs sehnlicher, als die Beine in die Hand zu nehmen.
Genetisches Chaos, entsann er sich Whits Worte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren diese Silben ohne Bedeutung für ihn geblieben. Als Bens Blick jetzt auf das fiel, was die Metamorphose aus Eric gemacht hatte, verstand er genug. Leben stellte eine Mischung aus Dr. Frankenstein und dem von ihm selbst geschaffenen Ungeheuer dar, war nicht
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