Schattenfeuer
der seine Prothese verloren hatte und verletzt zu sein schien.
Eric hatte sich in etwas verwandelt, das die Dunkelheit liebte. Er wußte nicht, was er war, und er konnte sich auch nicht klar an seine frühere Existenz erinnern, hatte keine Ahnung, welches Ziel die Metamorphose anstrebte. In bezug auf einen Punkt aber erfüllte ihn eine Sicherheit, die jeden Zweifel ausschloß: Er stellte ein Geschöpf der Finsternis dar, ein Wesen, das die Schwärze nicht nur liebte, sondern darin zu einem Halbgott wurde, dessen Macht niemand in Frage stellte.
Weiter vorn kletterte die Beute vorsichtig durch eine Welt ohne Licht. Sie konnte sich nicht mehr orientieren, bewegte sich viel zu langsam, um ihm zu entkommen. Eric sah sie so deutlich vor sich, als werde sie von einem Scheinwerfer angestrahlt.
Andererseits jedoch verwirrte ihn die gegenwärtige Umgebung ein wenig. Er entsann sich eines langen Tunnels, und der Geruch deutete auf Wände hin, die aus Holz bestanden. Dennoch fühlte er sich so, als befinde er sich tief im Boden, in irgendeinem unterirdischen Bau.
Um ihn herum loderten Schattenfeuer auf, flackerten einige Sekunden lang und erloschen dann wieder. Er wußte, daß er sich einmal vor ihnen gefürchtet hatte, versuchte aber vergeblich, sich an den Grund für seine Angst zu erinnern. Die Phantomflammen stellten ganz offensichtlich keine Gefahr für ihn dar, waren harmlos, solange er ihnen keine Beachtung schenkte.
Von der weiblichen Beute ging ein durchdringender Ge ruch aus, der alle seine Sinne stimulierte. Die wollüstige Begierde machte ihn unvorsichtig, und er mußte sich bemü hen, um der Versuchung zu widerstehen, vorzustürmen und sich auf das Opfer zu stürzen. Eric ahnte, daß er sich auf trügerischem Untergrund befand, doch das Kreischen der Stimme in seinem Innern, die ihm sexuelle Befriedigung in Aussicht stellte, übertönte das Mahnen.
Irgendwie begriff er, wie gefährlich es gewesen wäre, sich von den dicken Balken abzuwenden und die dünnen Schichten neben ihnen zu betreten. Deshalb hielt er sich auf den Trägern. Obgleich er wesentlich größer und schwerer war als die Beute, kam er weitaus schneller voran, erwies sich als agiler.
Jedesmal dann, wenn sie den Kopf drehte, kniff Eric die Augen zu, so daß sie ihn nicht aufgrund der glühenden Pu pillen erkennen konnte. Wenn sie innehielt und horchte, hörte sie natürlich das Kratzen und Schaben, das er auf den Balken verursachte, doch der Umstand, daß ihr keine visuelle Positionsbestimmung des Verfolgers möglich war, schürte offenbar das Entsetzen in ihr.
Eric empfand den Geruch des Grauens als ebenso stark wie den ihrer Weiblichkeit. Das eine regte seine Blutgier an, das andere bewirkte sexuelles Verlangen. Er sehnte sich danach, ihr Blut auf seinen Lippen zu spüren, die Schnauze in ihren aufgeschlitzten Leib zu pressen und seine spitzen Zähne in das besonders leckere Fleisch einer warmen Leber zu bohren.
Die Entfernung zu ihr betrug noch sechs Meter.
Vier.
Drei.
Ben half Whitney auf und lehnte ihn an eine gut einen Meter hohe Trennmauer, hinter der sich einst Blumenbeete erstreckt hatten und jetzt nur noch Unkraut wuchs. Über ihnen quietschte und knarrte das Motelschild im Wind.
»Mach dir um mich keine Sorgen«, sagte Whit und rückte von Ben fort.
»Dein Gesicht...«
» Hilf ihr, hilf Rachael.«
»Du blutest.«
»Ich lebe, verdammt. Das Vieh hat es auf Rachael abgesehen.« In Whitneys Stimme vernahm Ben den auf unangenehme Weise vertrauten Klang des Schreckens, den er seit Vietnam nicht mehr gehört hatte. »Es hat mich einfach ignoriert und ist ihr gefolgt.«
»Es?«
»Bist du bewaffnet? Gut. Mit einer Magnum? Noch besser.« »Es?« wiederholte Ben. Plötzlich heulte der Wind lauter, und der Regen strömte so
heftig herab, als sei ein Damm gebrochen. Whit hob die Stimme, um sich verständlich zu machen. »Leben. Es ist Eric Leben, aber er hat sich verändert. Genetisches Chaos -so nannte es Rachael. Regressive Evolution. Umfassende Mutationen. Beeil dich, Ben. Die Wohnung des Verwalters!«
Whits Worte erschienen Shadway zusammenhanglos, doch er spürte, daß Rachael in noch größerer Gefahr schwebte, als er bisher befürchtet hatte. Er ließ seinen alten Freund an der Trennmauer zurück und näherte sich mit raschen Schritten dem Eingang des Motelbüros.
Der Regen prasselte noch lauter auf das Dach herab, und das Hämmern machte Rachael fast taub, als sie so schnell wie möglich durch die lichtlose Schwärze kroch.
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