Schattenfeuer
leicht festgenagelt werden. Ich hätte praktisch überhaupt keine Chance. Aber in einem solchen Fall würde es mehr Aufsehen erregen, mich umzubringen. Die Leute im Cadillac... und ihre Freunde... Sie ziehen es vor, mich unauffällig aus dem Verkehr zu ziehen. Auch wenn das mehr Zeit und Mühe erfordert.«
Bevor im Rückspiegel einmal mehr das Scheinwerferlicht der Limousine aufschimmerte, riß Ben den Wagen nach rechts. Es konnte nur noch einige Minuten dauern, bis die Verfolger ihre Spur verlören. »Was, zum Teufel, wollen die Mistkerle von dir?«
»Zwei Dinge. Erstens: ein... Geheimnis, von dem sie annehmen, ich wüßte darüber Bescheid.« »Was jedoch nicht stimmt?«
»Nein.«
»Und zweitens?«
»Ein anderes Geheimnis, in das ich eingeweiht bin . Sie kennen es ebenfalls und wollen verhindern, daß ich es verrate.«
»Worin besteht es?«
»Wenn ich dir darauf Antwort gäbe, hätten sie es auch auf dich abgesehen.«
»Ich stecke bereits bis zum Hals in der Sache«, hielt ihr Ben entgegen. »Deine Gegner würden bestimmt nicht zögern, auch mir das Lebenslicht auszublasen. Nur um ganz sicher zu gehen. Also heraus mit der Sprache.«
»Jetzt nicht. Du mußt dich darauf konzentrieren, den Caddy abzuhängen.«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Benutze unsere Verfolger bitte nicht als Vorwand, keinen Ton mehr von dir zu geben. Wir haben die Sache bereits überstanden. Noch eine Abzweigung, und die Kerle können uns mal.«
Genau in diesem Augenblick platzte der rechte Vorderreifen.
10. Kapitel - Nägel
Es war eine lange Nacht für Julio und Reese.
Um 00.32 Uhr wurde die Durchsuchung des Müllbehälters abgeschlossen, doch Ernestina Hernandez' blauer Schuh blieb spurlos verschwunden.
Nach dem Abtransport der Toten ins städtische Leichenschauhaus beschlossen die meisten Beamten, nach Hause zurückzukehren und noch einige Stunden lang an der Matratze zu horchen, um für den nächsten Arbeitstag fit zu sein. Nicht so Lieutenant Julio Verdad. Er wußte, daß die Spuren bei einem Mord innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach der Entdeckung des Leichnams besonders frisch waren.
Darüber hinaus konnte er unmittelbar nach der Zuweisung eines neuen Falles ohnehin keine Ruhe finden; trotz seine Erfahrungen war er kein abgebrühter Polizist, kein klinischneutraler Beobachter, der die Schrecken eines Gewaltverbrechens mit einem Schulterzucken akzeptierte.
Diesmal fühlte er sich dem Opfer mehr verpflichtet als jemals zuvor. Aus Gründen, die seinen Kollegen banal erscheinen mochten, für ihn jedoch die Qualitäten eherner Prinzipien gewannen, hielt er es für seine wichtigste Aufgabe, den Mörder zur Strecke zu bringen. Es ging nicht nur um einen Routinejob, sondern eine Frage der Ehre.
Sein Partner Reese Hagerstrom leistete ihm trotz der späten Stunde Gesellschaft. Für Julio -für niemanden sonst war er bereit, rund um die Uhr zu arbeiten, auf Schlaf, Freizeit und regelmäßige Mahlzeiten zu verzichten, jedes Opfer zu bringen, das man von ihm verlangte.
Um 00.41 Uhr benachrichtigten sie Ernestinas Eltern vom Tod ihrer Tochter. Die Familie wohnte einen Block östlich der Main Street, in einem bescheidenen Haus, vor dem zwei Magnolien wuchsen. Julio und Reese klingelten Ernestinas Angehörige aus den Betten und stießen zunächst auf ungläubige Skepsis. Darauf folgte der Schock.
Zwar hatten Juan und Maria Hernandez sechs Kinder, aber Ernestinas Tod traf sie ebenso hart wie Eltern, deren Liebe nur einem galt. Marias Knie gaben nach, und sie nahm auf dem rosafarbenen Sofa im Wohnzimmer Platz. Ihre beiden jüngsten Söhne -beides Teenager -setzten sich neben sie und wischten sich Tränen aus den geröteten Augen. Sie wa ren viel zu erschüttert, um die Macho-Fassade aufrechtzuerhalten, hinter der sich lateinamerikanische Jungen in ihrem Alter so gern versteckten. Maria hielt ein Foto Ernestinas in den Händen, weinte und erzählte mit schwankender Stimme von den guten Zeiten, die sie mit ihrer Tochter verlebt hatte. Eine andere Tochter, die neunzehnjährige Laurita, saß allein im Eßzimmer, umklammerte einen Rosenkranz und starrte ins Leere. Juan Hernandez schritt unruhig auf und ab, ballte immer wieder die Fäuste und zwinkerte mehrmals, um die Tränen zurückzuhalten. Als Patriarch erachtete er es als seine Aufgabe, seiner Familie ein Beispiel zu geben, ein Haltepol der Kraft und Unerschütterlichkeit zu bleiben. Doch Ernestinas Tod war zuviel für ihn: Zweimal zog er sich in die Küche zurück und
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