Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
kapiert, was er ihr eigentlich bedeutete.
»Keelin, wir müssen hier weg! Wir haben beide ein ernstes Problem, wenn uns Herwarths Männer hier erwischen!«
Sie ließ sich von ihm fortführen, folgte ihm wie eine Schlafwandelnde, ließ sich wie ein Kind von ihm die Schuhe ausziehen, spürte kaum die Kälte des Elbwassers, als sie von ihm geführt in den Fluss stieg.
»Die Strömung ist stark«, erklärte sie emotionslos, als sie das Zerren des Stroms zu spüren begann. »Wir müssen uns festhalten, sonst verlieren wir uns.«
»Woher weißt du …«, fragte Wolfgang, ehe er verstummte und ihre Hand fester packte. »Du hast das schon einmal gemacht, stimmt’s?«
Sie antwortete nicht, als Wolfgang von der Strömung erfasst wurde und sie mit sich zog. Ihr Gesicht war nass von den Tränen, die ihr lautlos über die Wangen liefen, während um sie herum das Wasser gluckste und die Leuchtfeuer auf dem Elbdamm langsam im Nebel verschwanden.
»Wir müssen ans Ufer«, rief Wolfgang, viel früher, als sie erwartet hatte. »Wir müssen zurück zur Harburger Pforte!«
Sie spürte, wie er zu schwimmen begann, wie er sie mit sich zog, wie er leise fluchte und schimpfte und sie anbettelte, ihm zu helfen. Sie zwinkerte sich die Tränen aus den Augen, zwang sich dazu, sich zusammenzureißen.
Mit gemeinsamen Kräften gelang es ihnen schließlich, sich aus der Strömung der Elbe zu befreien und an Land zu kriechen.
DERRIEN (3)
Trollstigen-Pass, Norwegen
Donnerstag, 04. November 1999
Die Innenwelt
Das Bispevatnet-Tal war ein Hochtal auf etwa tausend Höhenmetern und lag damit noch einmal dreihundert Meter über der Festung Trollstigen. Links wurde es von einem gewaltigen Gipfelgrat flankiert, dessen höchster Punkt, der Finnan, knapp achtzehnhundert Meter hoch und im Winter ein völlig unüberwindbares Hindernis war. Rechts erhob sich majestätisch der vierzehnhundert Meter hohe Bispen, ein steiler Felspfeiler, der das Hochtal vom weiter östlich gelegenen Isterdal trennte. Im Sommer führte hier ein selten gegangener Pfad entlang, den die Krieger des westlichen Romsdalsfjordes manchmal benutzten, um zur Festung zu gelangen. Im Winter war es eine Schneewüste. Schroffe Kanten in der glatten Schneedecke auf den Hängen markierten alte Lawinenabgänge. Der See war gefroren und unter einer tiefen Schneeschicht verborgen, doch immerhin bot er ihnen ein ebenes Stück Weg. Der eigentliche Pfad war nicht einmal angedeutet erkennbar.
Ein eisiger Wind blies durch das Tal und brach sich mit einem hohen Heulen in den schroffen Felsformationen der angrenzenden Berge. Wie eine Herde Schafe trieb der Wind die Wolken gegen Osten. Sterne standen am Himmel, überdeckt von intensiven, grün flackernden Nordlichtern. Es war eine schöne Nacht, um mit einem Krug Met in der Hand in den Himmel zu starren.
Mit unzureichender Winterausrüstung durch den Tiefschnee der Trollstigenberge zu waten war die Hölle. Die Kälte war längst durch Derriens Helm gedrungen und versuchte nun, sein Gesicht und seine Ohren zu Eis erstarren zu lassen. Seine druidische Regenerationsträubte sich dagegen und heilte den Schaden, den der Winter anrichtete, doch ohne die Kraft der Zähigkeit wäre er wahrscheinlich trotzdem längst erfroren.
»Sind sie immer noch hinter uns?«, spuckte Murdoch, der vorne ging und mit seinem schweren Körper auf dem zugefrorenen See Bispetvatnet eine Spur bahnte.
Derrien wandte sich um. Ganz in der Ferne hinter sich erkannte er die dunklen Punkte auf dem weißen Schnee, die ihre Verfolger waren. »Ja«, antwortete er. Er wischte sich mit dem Ärmel über die in der Kälte triefende Nase.
Und sie kommen näher.
»Lasst uns sie umbringen!«, meinte der Schotte und blieb stehen. In seiner Stimme lag ein sadistischer Unterton.
»Geh weiter!«, befahl Derrien ungehalten. Murdoch ging ihm auf die Nerven. Irgendetwas war auf dem Westwall passiert, das den Wolf verändert hatte. Seitdem wirkte er noch brutaler als sonst, aber auch dümmer, engstirniger. Es schien ihn gar nicht zu interessieren, dass die Männer hinter ihnen wahrscheinlich größtenteils Schatten waren, die frischer und ausgeruhter und obendrein besser ausgerüstet waren als die drei Druiden. Murdoch wollte um jeden Preis kämpfen.
»Wir können sie töten!«, beharrte der Schotte.
»Geh! Weiter!«
Der Wolf schnitt eine zornige Grimasse, doch immerhin marschierte er wieder los und wühlte sich weiter durch den Schnee. Derrien wartete, bis sich auch Ryan in
Weitere Kostenlose Bücher