Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
wäre es ein Leichtes, eines davon zu stehlen. Doch er schlug sich den Gedanken sogleich aus dem Kopf. Selbst wenn es ihm gelang, an den Wachen und den beiden Nain der Patrouille vorbeizukommen, war er nicht mehr in der Lage, längere Strecken zu reiten. Und wohin auch?
Nein. Er musste bei seinem Plan bleiben.
Es dauerte vielleicht eine Viertelstunde, bis die beiden Nain, die vorhin zum Wachfeuer geritten waren, von dort zurückkehrten. Der eine, ein hagerer Mann mit einer pelzbesetzten Jacke und kniehohen Reitstiefeln, stand im Sattel auf und schrie mit rauer Stimme: »Ushkarek!« Sein Pferd wieherte erschrocken und tänzelte, doch der Nain zügelte es mit einer herrischen Geste. »Ushkarek!«
Die Tür zur Halle ging erneut auf. Der Mann mit dem Bärenfell erschien darin, einen Krug in der Hand. »Lord?«, fragte er mit vollem Mund.
Reitstiefel murrte etwas, das wie ein Fluch klang. »Los, auf!«, befahl er auf Englisch. »Ihr könnt fressen und saufen, wenn wir unseren Mann gefunden haben!«
Von hinter dem Schuppen kehrten Calder und seine beiden Wachen zurück. »Geht es weiter?«, fragte der Mann mit den O-Beinen.
Reitstiefel nickte. »Hat er was gefunden?«
O-Bein schüttelte den Kopf. »Zu viele Spuren, sagt er.«
Nach und nach traten die Männer der Patrouille wieder aus der Halle. Sie fluchten in fünf verschiedenen Sprachen über die Kälte, während sie sich Mützen über die Köpfe und Schals um die Hälse zogen. Ihr Atem ließ kleine Dampfwölkchen vor ihren Mündern entstehen.
Derrien warf einen Blick zu Calder, der noch immer am Schuppen stand, für einen Moment unbeobachtet. Der Schotte hatte den Kopf starr nach unten gewandt und machte keine Anstalten, zu seinem Pferd zu gehen und sich aufbruchsbereit zu machen. Stattdessen ging er langsam hinüber zum Eingang einer der Rundhütten, ohne dabei die Augen vom Boden zu nehmen. Dort blieb er wieder stehen und betrachtete regungslos die Tür.
Er hatte eine Spur. Derrien selbst hatte ihn oft genug dabei beobachtet.
Als sich Calder von der Tür abwandte und seinen Blick hob, um direkt unter die Kornkammer zu sehen, wurde Derrien mit großem Schrecken klar,
welche
Spur der Schotte gefunden hatte. Es war seine eigene! Von wegen zu viele Spuren …
Derrien wagte nicht einmal mehr zu zwinkern. Er atmete so flach wie nur möglich, um die Dampfwölkchen seines eigenen Atems kleinzuhalten. Trotz des Morgengrauens war es immer noch ziemlich dunkel, vielleicht sah der Schotte ihn in seinem Versteck unter dem Kornspeicher nicht. Doch es war zwecklos. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie in Calders Wahrnehmung seine Fußspuren magisch leuchtend auf den Kornspeicher zeigten wie ein anklagender Finger. Der Blick des Schotten war so zielgenau, dass er ihm direkt in die Augen zu sehen schien. Derrien spürte, dass sein Leben nur noch an einem seidenen Faden hing …
Ein Ruck ging durch Calder. Der Schotte zwang sich, zur Seite zu sehen, während er zu dem letzten übrig gebliebenen Pferd ging. Derrien ließ langsam einen Atem entweichen, von dem er gar nicht gewusst hatte, dass er ihn angehalten hatte.
»Du hast etwas gefunden?«, fragte O-Bein.
Die anderen Nain sahen überrascht auf. Calder blieb abrupt stehen. Ein Dieb, auf frischer Tat ertappt.
»Du hast etwas gefunden?«, wiederholte Bärenfell die Frage in gebrochenem Keltisch. »Was hast du gefunden?«
»Iiiiich –«, machte Calder.
Nun war auch die Aufmerksamkeit des letzten Nain auf denSchotten gerichtet. Ohne sein Gesicht sehen zu können, wusste Derrien, was nun in Calder vorging. Es wäre so einfach, Derrien zu verraten und damit sein eigenes Leben zu schützen. Allein sein Gewissen stand ihm im Weg, doch Derriens Menschenkenntnis war gut genug, um zu wissen, dass nicht viele Gewissen einer Lebensbedrohung standhielten. Langsam ließ er seine Hand zu seinem Waffengürtel hinabwandern. Wenn sie ihn hier schon kriegen würden, würde er so viele dieser Bastarde wie möglich mitnehmen. Er glaubte mittlerweile, sogar die Schatten unter ihnen erkennen zu können. Wie viele konnte er kriegen? Zwei? Drei? Drei Schatten gegen Derriens Leben klang nicht allzu schlecht. Nicht gut, oh nein – Derrien wollte nicht sterben, trotz allem, was in den letzten Tagen und Monaten schiefgelaufen war –, doch immerhin nicht allzu schlecht.
Seine Hand berührte
Steinbeißers
Heft. Er schloss seine Finger darum und zog mit lähmender Langsamkeit die Klinge.
»Spuren«, stieß Calder aus. »Dort. Sie kommen
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