Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
würden, doch der ließ es nicht darauf ankommen. Er war wütend, doch seine Wut war noch überlagert von Angst, der Angst vor Urkashs Rache. Unter der von Wind und Wettergealterten Haut und dem wilden grauen Vollbart wirkte der Mann blass und alt.
Der nächste Fall war ein Händler, der sich über den hohen Brückenzoll in der Stadt beschwerte. Er beschrieb ausführlich und mit blumigen Worten, wie sehr die Stadt und allgemein Cintorix’ Herrschaft von den Leistungen der Händler profitierten, bevor er sich daranmachte und verwegen den Brückenwärtern und ihrem Anführer, einem weiteren »Übernatürlichen« mit einem unaussprechlichen Namen, vorwarf, die Hälfte ihres Profits für sich selbst abzuzweigen. Die Spinne lauschte wortlos, ohne einen Muskel seines scheinbar gefrorenen Gesichts zu bewegen, bis der Händler schließlich fertig geredet hatte. Dann bewies Cintorix sein Interesse an dem Fall, indem er mehrere scharfsinnige Fragen zur Identität jener Brückenwärter und zu den genauen Beträgen des Zolls machte. Schließlich erklärte er feierlich, dass er sich der Sache annehmen würde. »Der Handel muss frei bleiben«, erklärte die Spinne und vernachlässigte dabei großzügig den offiziell erhobenen Anteil des Zolls. »Es darf nicht sein, dass er behindert wird von Leuten, die in ihre eigene Tasche wirtschaften.« Wolfgang wunderte sich etwas darüber, schließlich mussten wohl auch die Brückenwärter zur fürstlichen Garde gehören, der Cintorix weitgehende Freiheiten überlassen hatte. Offenbar war ihm der Handel tatsächlich wichtig. Oder aber er log gerade vor versammelter Mannschaft, was jedoch nicht recht zu dem passen wollte, was Wolfgang bisher von der Spinne gesehen hatte. Nein, der Handel war wichtig. Wozu er wichtig war, das ließ sich vielleicht noch herausfinden. Die nächste Audienz – die, zu der Wolfgang und Keelin ihre Ablenkung eingeplant hatten – war erst in vier Tagen, die Zeit bis dahin musste noch irgendwie sinnvoll gefüllt werden.
Auf diese Art und Weise verstrich langsam der Tag. Der Fürst fällte weiter Urteile, vermied viele und wand sich aalglatt aus besonders kritischen Situationen. Der gemeinsame Nenner jedoch war der, den Keelin und Wolfgang schon in der ersten Stunde ihrer Anwesenheit herausgefunden hatten: Während Cintorixdurchaus zu gerechten Urteilen in der Lage schien, solange es nur Streitigkeiten unter den niederen Rängen betraf, scheute er zu nahezu jeder Gelegenheit den Konflikt mit den Schatten. Sein Totschlagargument war meist, dass die Schatten – oder Übernatürliche, wie er sie nannte, um das Wort »Schatten« zu vermeiden – die neuen Herren waren, die durchaus das Recht hatten, sich so aufzuführen, wie sie es taten.
Gegen Ende des kurzen Wintertages beendete Cintorix die Audienz. Es waren noch einige Bittsteller übrig geblieben, von denen die meisten auf Wolfgangs kurzes Nachfragen bestätigten, auch am Sonntag wieder hier sein zu wollen. Der Häuptling, so die verbreitete Meinung, war trotz allen politischen Schwankungen und Veränderungen ein gerechter Mann. Wolfgang musste sich arg zusammenreißen, um das widerspruchslos hinzunehmen.
Im Anschluss verliefen sich die Leute auf dem Marktplatz, der sich zwischenzeitlich ein wenig geleert hatte. Die ersten Händler räumten ihre Ware in Körbe und klappten ihre Stände zusammen, während sich die Sonne hinter den Wolken langsam zum Horizont neigte. So gesehen wirkte die Stadt fast friedlich. Momentan waren nicht einmal Gardisten auf dem Marktplatz zu sehen.
»Und?«, fragte Keelin, als sie sich etwas vom Rathaus entfernt hatten.
Wolfgang zuckte mit den Schultern. »Ich kann jetzt noch nichts dazu sagen. Einfach wird es jedenfalls nicht.«
»Hast du es spüren können?« Damit meinte sie das Buch.
»Nein.« Er hatte nicht gewagt, sein Magiegespür im Rathaus einzusetzen. Cintorix hatte so offen und ungeschützt oben auf seinem Podest gesessen, dass mit Sicherheit noch irgendeine zusätzliche Sicherung vor Ort gewesen war, vielleicht ein gebundener Geist oder ein weiterer Übernatürlicher, der beständig nach Magie Ausschau hielt. Es würde nicht so einfach werden, wie Wolfgang erhofft hatte.
Aus einer Seitengasse tauchten zwei Gardisten auf. Ohne groß nachzudenken, steuerte Wolfgang in die Mitte des Marktplatzes, um die beiden in etwas größerem Abstand zu umgehen. »Aberwir haben eine halbe Woche Zeit, uns etwas auszudenken«, murmelte er währenddessen. »Das wird schon.« Es war
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