Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
lag oder an der Situation. Sie hatten schon öfter Probleme mit der Loyalität ihrer Fomorer gehabt, doch dieses Mal war es besonders schlimm.
Jeder seiner Schritte verursachte im Matsch ein anzügliches, glitschiges Schmatzen. Er nahm es kaum wahr. »Wie viele Menschen haben hier gelebt?«, fragte er beiläufig.
»Sieben- oder achthundert«, meinte Tarakir. Die Lederrüstung,die der dürre Ranger-Schatten unter seinem grauen Umhang trug, war das einzige Zugeständnis, das Tarakir an seine persönliche Sicherheit machte.
»Sieben- oder achthundert«, wiederholte Rushai. »Wie viele Flüchtlinge haben wir eingesammelt?«
»Etwa fünfzig.«
»Tote?«
»Ungefähr genauso viele.«
»Das heißt, dass die Waldläufer wahrscheinlich mindestens fünfhundert Leute von hier entführt haben?«
Tarakir schwieg kurz, bevor er antwortete: »Ich schätze schon, ja.«
Ein Desaster
, kommentierte Rushai für sich selbst. Es war eine Katastrophe. Damit konnten die Waldläufer ihre Stärke vermutlich
verdreifachen.
Waren sie vorher schon ein nicht zu unterschätzender Störfaktor, waren sie nun eine echte Gefahr, die in seinen Wäldern lauerte.
Von den Fischerbooten am Strand war nicht mehr viel übrig. Molde hatte eine kleine Flotte besessen, mit der die Fischer jeden Tag hinaus aufs Meer gefahren waren, selbst so spät im Jahr noch, bei Sturm und bei Regen. Nun waren die meisten der Boote verschwunden. Diejenigen, die die Waldläufer zurückgelassen hatten, lagen zerschlagen auf dem Uferkies. Von hier würde so schnell kein Boot mehr ablegen.
»Wissen wir, von wo aus sie den Fjord überquert haben?«
»Bisher noch nicht. Unsere Strandpatrouillen sind unterwegs und suchen am Südufer nach Schiffen. Aber ich habe sie angewiesen, vorsichtig zu bleiben. Wir wissen nicht, ob die Waldläufer nicht damit rechnen. Ich wollte nicht noch mehr Männer verlieren.«
Rushai nickte, während sein Blick auf eine Gruppe Möwen fixiert war, die sich an einem Leichnam am Strand gütig taten. So weit war es also gekommen. Er hatte die Initiative verloren, hier im Tal des Romsdalsfjords. Er war nicht mehr beweglich, musste feste Städte und Dörfer verteidigen und darauf warten, dass die Waldläufer von sich aus angriffen, an einem von ihnen gewähltenOrt zu einer von ihnen bestimmten Zeit. Es war nicht mehr wie früher, wo er sich auf seinen kleinen, hervorragend ausgebildeten Trupp Ranger verlassen konnte. Seine Operationen waren zu groß geworden, heute gehörten zu seinen Leuten disziplinlose Nichtsnutze und gefühlsduselige Druidenverehrer, die bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zur Gegenseite wechselten, Männer und Frauen, die teilweise noch nicht einmal das Schwarze Ritual hinter sich hatten. Und damit sollte er ein Gebiet unter Kontrolle halten, das so groß war wie der Romsdalsfjord, ganz zu schweigen davon, dass er so bald wie möglich wieder in die Offensive gehen wollte, weiter nach Trondheim und darüber hinaus. Es gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Aber was gefiel ihm diese Tage noch? Derrien führte seine Waldläufertruppe zu neuer Stärke, Tagaris hatte Probleme, den Portalkeim zu erweitern, und Ashkaruna tobte, weil Rushai nicht in der Lage gewesen war, Mickey in Bergen aufzuspüren. Angeblich war der oberste Rattenmensch beim Clan in Ungnade gefallen, zumindest wenn es nach den Worten dieser Albino-Ratte ging. Nicht einmal die Ratten wussten, wo er steckte. Für Rushai war es eine willkommene Ausrede gewesen, das Problem für erledigt zu erklären und nach Åndalsnes zurückzukehren, doch Ashkaruna sah das wieder einmal anders.
Bastard.
»Warum haben diese verfluchten Waldläufer keine Angst mehr vor Ur’tolosh?«, fragte er wütend. Er war sich so sicher gewesen, dass die Nordküste des Fjordes nicht in Gefahr war, hatte gedacht, dass die Waldläufer aus Furcht vor dem Dämon den Fjord meiden würden. Es war offenbar ein Fehler gewesen.
»Vielleicht haben sie mitgekriegt, dass sich der Dämon im Norden herumtreibt und die Gegend von Kristiansund terrorisiert?« Tarakir ließ es wie eine Frage klingen, doch eigentlich war offensichtlich, dass es so gewesen sein musste. Rushai hätte von selbst darauf kommen können. Vor allem hätte er
vorher
darauf kommen müssen.
Irgendwie hatte die Situation langsam, aber sicher begonnen, seiner Kontrolle zu entgleiten. Rushai ertappte sich bei dem frevlerischenGedanken, ob es vielleicht klüger wäre, dem Romsdalsfjord den Rücken zu kehren, bis er wieder
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