Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
Seog betete inständig zu den Göttern, dass dies auch so bleiben mochte.
Doch eigentlich brauchte er sich doch gar keine Sorgen zu machen. Es war Derriens Plan. Und Derrien war nicht umsonst im gesamten Gebiet des Rats von Dún Robert berühmt für seine Erfolge im Kampf gegen die Schatten.
Du bist ein Feigling!
, schalt er sich.
Ein jämmerlicher Feigling. Du wirst niemals so sein wie er!
Er biss die Zähne so hart aufeinander, dass er ihr Knirschen hören konnte.
»Sie sind hier.«
Rushai war von einem Moment auf den anderen wach. »Die Waldläufer?«
»Ja«, antwortete Zhûl mit seiner stets heiseren Stimme.
»Haben sie einen Alarm ausgelöst?«
»Nein. Alles ist ruhig.«
»Dann sorge dafür, dass es so bleibt. Gib einen stillen Alarm an alle Wachhäuser. Wir erwarten sie hier.«
»Der stille Alarm ist bereits unterwegs.«
»Gut. Sehr gut.« Rushai schwang sich aus dem Bett und begann eilig damit, die Rüstung anzulegen, die auf einem speziell dafür angefertigten Ständer neben der Tür stand. Mit seiner Zunge leckte er sich vorfreudig über die Lippen.
Jetzt habe ich dich!
Und diesmal würde er es nicht zulassen, dass Ashkaruna den Weißen Baum wieder aus der Hand gab …
Die Gebäude wurden größer, je tiefer Derrien in die Stadt eindrang. Die armseligen Hütten, die Scheunen und Ställe des Stadtrandes waren längst Langhäusern gewichen, in denen die angeseheneren Handwerker der Stadt wohnten oder zumindest gewohnt hatten. Derrien hatte bereits die Werkstatt eines der Segelmacher passiert und ging nun die langgezogene Seilerbahn entlang, die wie ein Pfeil von Osten her in das Zentrum der Stadt ragte. In guten Zeiten wurden hier die Seile gereept, die die Fischerflotte der Bretonen so dringend benötigten. Heute Nacht erschien sie wie ausgestorben, so wie auch der gesamte Rest der Stadt.
Es war immer noch ruhig. Eigentlich hätte Derrien längst damit gerechnet, den Alarm auszulösen und den Rest des Weges im Laufschritt hinter sich zu bringen, doch es schien tatsächlich nicht nötig zu werden. Konnte er es tatsächlich schaffen, Rushai im Schlaf zu überraschen?
Derrien schüttelte den Kopf. Rushai war nicht hier. Falls der Schatten heute Nacht überhaupt in Kêr Bagbeg gewesen war, war er nun auf der anderen Seite des Fjordes und jagte Gautrek hinterher.
Es ist trotzdem zu ruhig …
Er drängte den Gedanken zur Seite. Woher hätten die Schatten wissen sollen, dass die Waldläufer ausgerechnet Kêr Bagbeg angriffen? Bis vor zwei Tagen hatten nicht einmal die Hauptmänner davon gewusst! Nein. Es
konnte
schlichtweg keine Falle sein.
Schließlich erreichte er den Rand des Dorfplatzes, an dessen Ende in etwa dreißig Metern Entfernung Nerins Langhaus errichtet war. Zwei Wachen flankierten den Eingang, beide mit ledernen Rüstungen und Speeren ausgerüstet. Das Licht des Kohlekessels reichte nicht aus, um bis zum Eingang der Gasse zu leuchten.
Derrien gab ein Signal nach hinten, worauf die Kolonne ins Stocken kam. »Kwanza! Nadif!«, flüsterte er und wartete, bis die beiden schwarzen Bogenschützen nach vorne gelaufen waren. Dann deutete er auf die beiden Wachen. »Den Linken!«, befahl er ihnen auf Englisch. Die beiden nickten und hoben ihre Bögen.
Auch Derrien legte einen Pfeil auf. Dann schloss er die Augen und versenkte sich in der Meditation des Schützen. Intuitiv begann er die Präsenz des rechten Wachmannes zu erspüren, wob die Verbindung zwischen seiner Pfeilspitze und dem Herz des Mannes, bis die Verknüpfung der beiden so organisch geworden war, dass sich allein der Gedanke an einen Fehlschuss schon grotesk anfühlte.
Derrien öffnete die Augen, nahm in der Peripherie seines Gesichtsfeldes wahr, dass die beiden anderen bereit zum Schuss waren. Dann ließ er los.
Der Soldat strauchelte mit einem lauten Keuchen zurück, fiel gegen die Wand, kippte zur Seite, blieb regungslos liegen. Der Pfeil hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Der zweite zuckte erschrocken zusammen, doch noch ehe er etwas tun konnte, wurde er ebenfalls getroffen, einmal in der Brust, einmal im Hals. Auch er fiel, krümmte sich jedoch noch ein paar Momente im Todeskampf, bis es vorbei war. Derrien hängte sich den Bogen über die Schulter und zog sein Schwert.
»Macht euch bereit!«, flüsterte er nach hinten.
Er hörte, wie Schwerter aus ihren Scheiden gezogen, Schilde an Unterarme geschnallt wurden. Es war nicht so still, wie er erhofft hatte, aber immer noch leise genug, niemanden aufzuwecken.
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