Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
mehreren Stellen in Bergen solche Runen. Ich müsste mich erkundigen.«
»Erzähle uns, wo sich diese Runen befinden, und du hast deine Ablenkung«, erklärte Wolfgang grimmig. »Wahrscheinlich mehr Ablenkung, als du dir wünschen kannst.«
Sie besprachen kurz, wie sie sich gegenseitig erreichen konnten. Dann trennten sie sich. Mickey wartete auf der Brücke, während Wolfgang und Keelin zurück zu Tönnes’ Lieferwagen gingen.
»Glaubst du, er wird liefern?«, fragte der Sachse auf halbem Wege.
»Ja«, antwortete Keelin nach kurzem Nachdenken.
»Ha. Wenn die Ratten anfangen, sich gegen die Schatten zu wehren, und wenn wir es tatsächlich schaffen, in ihre Brutstätte einzudringen …« Wolfgang blieb stehen. Sein Blick ging ins Leere, seine Hand ballte sich zur Faust. Keelin konnte direkt mitansehen, wie seine Gedanken zurück zu seiner verlorenen Gudrun gingen.
»Dann was?«
Wolfgang sah sie wortlos an. Der Hass in seinem kalten Grinsen jagte einen eisigen Schauer ihren Rücken hinab.
DERRIEN (7)
Motor,
Bergen, Norwegen
Samstag, 11. Dezember 1999
Die Außenwelt
Das
Motor
war eine Biker-Kneipe der eher übleren Art. Es war klein und schäbig, heruntergekommen und schmutzig. Die Beleuchtung war eher mäßig, dazu kam ein dermaßen dicker Zigarettenqualm, dass alles im Abstand von mehr als drei Metern hinter Schlieren aus Nikotin und Teer verschwand. Das Bier schmeckte abgestanden und schal, doch Derrien blieb nichts anderes übrig, als es zu trinken, wollte er nicht auffallen wie der berühmte bunte Hund. Er war sich nicht sicher, ob der Wirt so etwas wie Wasser überhaupt im Angebot hatte.
Sein Kontakt war überfällig. Es handelte sich um einen Renegaten namens Ernst, der ihn laut Martin unbedingt sprechen wollte. Der verkrüppelte alte Renegat hatte das Treffen arrangiert, jedoch ohne ihm zu sagen, worum es dabei tatsächlich ging. Und nun saß Derrien hier, mit einer schmutzigen, nass geregneten Jeans und einer Lederjacke, mit der er sich in diesem schäbigen Lokal noch immer overdressed fühlte, trank ein Bier, das nach Motorenöl schmeckte, und wartete auf einen Renegaten. Er konnte nur hoffen, dass es keine Falle der Schatten war. Doch nach Trollstigen und dem Desaster von Kêr Bagbeg hatte er keine Optionen mehr. Irgendjemandem
musste
er vertrauen, sonst konnte er sich wirklich ins nächste Flugzeug setzen und ins Exil nach Großbritannien fliegen. Und das würde er nicht tun. Es wäre die ultimative Niederlage, das Eingeständnis, dass er auf der ganzen Linie versagt hätte. Niemals! Er würde kämpfen, bis zu seinem letzten Atemzug, wenn es sein musste. Er hatte einiges wiedergutzumachen.
Doch dafür brauchte er eine Basis, von der aus er arbeitenkonnte, er brauchte Männer, die ihn mit Informationen und Zielen versorgten und ihm bei der Ausführung seiner Missionen halfen. Da ihm die Innenwelt kaum noch Rückzugsmöglichkeiten bot, hatte er beschlossen, seine Aktivität in die Außenwelt zu verlegen. Sie bot genügend Gegner: Ashkaruna in Bergen, Rushai in Åndalsnes, Cintorix in Otta. Es war eine Liste, die es abzuarbeiten galt. Bis dahin würde er ein neues Netzwerk von Spionen aufbauen und warten, so geduldig, wie es ihm möglich war.
Geduld war auch vonnöten, denn dieser Ernst war bereits eine halbe Stunde zu spät. Derrien holte sich ein zweites Bier, um nicht aufzufallen, und setzte sich zurück an seinen Platz auf einer Bank mit Blick zum Eingang. Die Hälfte des ersten Biers hatte er sich über die Jacke geschüttet, um nicht zu schnell betrunken zu sein. Ein intensiver Biergeruch konnte seine Tarnung in diesem Laden ohnehin nur verbessern.
Für seine Größe war das
Motor
gut frequentiert. Zwar standen drei der fünf Tische leer, aber dafür war der kurze Tresen mit sechs Männern voll besetzt. Es waren Motorradfahrer, wie sie im Buche standen, ihre Lederwesten waren mit zahllosen Aufnähern verziert, auf denen Totenschädel und Adlerschwingen die häufigsten Motive darstellten. Derrien fand jedoch keinen gemeinsamen Nenner, der die Männer als Motorradgang ausgezeichnet hätte, und wunderte sich ein wenig. Typisch waren sechs unabhängige Biker in gleicher Kluft jedenfalls nicht.
Schließlich betrat ein weiterer Mann den Barraum, großgewachsen, schlank, mit einem speckigen Jackett über einer löchrigen Jeans und einer schwarzen Designerbrille, die vor fünf Jahren aktuell gewesen war. Mit seinen grauen Haaren und dem Dreitagebart wirkte er ein wenig wie ein
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