Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
aufgerissen und starr vor Angst.
Derrien folgte seinem Blick. Die Brände hatten zugenommen, der Dämon hing gerade flatternd vor einem mindestens zehnstöckigen Plattenbau und spie wie ein Flammenwerfer sein Feuer hinein. Man konnte direkt zusehen, wie sich das Gebäude zu einer gigantischen, lodernden Fackel verwandelte.
»Dort, Dmitriy.« Ingmar klopfte Derrien auf die Schulter und deutete hinaus auf den westlichen Eingang zum Byfjord.
Für einen kurzen Augenblick wusste Derrien nicht, was der Germane meinte, doch dann fiel ihm auf, dass die Beleuchtung derUferstraßen und Gebäude, die den Byfjord zu beiden Seiten säumten, von Westen her kommend erlosch. Die Askøybrua war bereits verschwunden, die Dunkelheit kam näher und näher. Schließlich bemerkte Derrien die Welle, die sich den Fjord entlangwälzte, eine zehn oder fünfzehn Meter hohe Monstrosität, eine schwarze Wassermauer, die über das Meer rollte und die zahllosen kleinen Boote durchschüttelte oder gar zum Kentern brachte.
»Bormana und Lug«, flüsterte er.
Wie eine schwarze Wand lief die Welle den Fjord entlang, passierte die Strände Kjøkkelviks, Gravdals und Laksevågs, ohne viel Schaden anzurichten, und prallte dann frontal auf den Bergener Hafen und die Innenstadt. Es war, als ob dort nie ein Ufer, eine Hafenmauer existiert hätte, die Welle lief einfach weiter die Straßen entlang, durch Puddefjord und Damsgårdssund hindurch in den Store Lungegårdsvann und von dort aus hinein in das dichtbebaute Stadtgebiet. Das Zentrum zwischen Hafen und Lungegårdsvann war plötzlich verschwunden, Holzhäuser waren unter der Wucht des Wassers zersplittert wie Streichhölzer, größere Gebäude eingestürzt, und nur die stabilsten und höchsten ragten noch hervor wie kleine Türmchen inmitten der Flut. Im ganzen Stadtgebiet erloschen die Lichter, von einem Moment auf den anderen herrschte Dunkelheit in Bergen, bis auf einige wenige Brandnester in den höher gelegenen Stadtteilen, die der Flut entgangen waren.
Der Flammendämon war auf einem vielstöckigen Hochhaus im Stadtteil Årstad gelandet, wo er nun seine Flügel zusammenfaltete und in Richtung des Meeres blickte. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, um zu erraten, worauf er wartete. Der Wasserdämon kam. Wo auch immer er sich herumgetrieben hatte, Ashkaruna hatte seinen Diener zurückgerufen, um den Angreifer aus Hamburg zu bekämpfen.
Derrien klopfte seinen beiden Talenten auf die Schulter. Er verspürte keine Lust, noch hier zu sein, wenn die beiden Titanen ihre Auseinandersetzung beendet hatten.
Auch der Unterschlupf der Queen befand sich im Verlauf der U-Bahn-Linie 3, jedoch ein paar Kilometer südlich von Årstad, wo die große Clansversammlung stattgefunden hatte, im Stadtviertel Paradis. Ein alter Felssturz, der mit dafür gesorgt hatte, dass das gesamte U-Bahn-Projekt aufgegeben worden war, hatte hier den geplanten U-Bahn-Rangierbahnhof mit all seinen Werkstattbereichen vom Rest des Schachtsystems abgetrennt und war langsam in Vergessenheit geraten, während sich in die anderen Bereiche der Dreier-Linie noch Monate und Jahre später vereinzelt Menschen verirrten, teils aus Neugierde, teils, weil ihnen die Unterwelt noch nicht sicher genug war für ihre kriminellen Machenschaften, teils, weil sie verfolgt wurden und eine sichere Zuflucht suchten. 1983 hatte der Clan den letzten, für Menschen zugänglichen Zugang versperrt, als die Hallen der Queen schon seit mehr als zehn Jahren von niemandem mehr betreten worden waren, der nicht zum Clan gehört hatte.
Doch selbst Rattentunnel gab es im Umfeld des Unterschlupfes nicht mehr viele, und die Queensguard überwachte alle von ihnen auf natürlichem oder unnatürlichem Wege. Alle – bis auf einen. Die Queen hatte Mickey den zusätzlichen Zugang vor so vielen Jahren einmal gezeigt, dass Mickey sich selbst eine lange Zeit nicht mehr daran erinnert hatte. Auf alle Fälle war es lange vor Ashkaruna gewesen, weshalb er glaubte, dass der Weg möglicherweise noch unbewacht war, unbewacht von der Queensguard, unbewacht aber auch und vor allem von den Geistern, mit denen Ashkaruna die Queen beschattete und bedrohte.
Dies war der Grund, weshalb sich Mickey nun durch die Schächte schlich, die jede der aufgegebenen U-Bahn-Linien begleiteten, die Wartungsschächte, die Lüftungsschächte, die Notschächte. Die Luft roch schal und staubig, die Stille war drückend. Er musste vorsichtig sein, äußerst vorsichtig, denn dies hier war
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