Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
in Ilan Keoded zu bleiben.Der Hauptgrund war schlichtweg der, dass er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Er war der letzte verbliebene Druide des Romsdalsfjordes. Es war niemand mehr da, der ihm sagen konnte, wie es weiterging. Im Gegenteil, er spürte deutlich, dass Gwezhennegs Leute von
ihm
erwarteten, dass er die Führung übernahm.
An diesem Morgen hielt sich Seog mit der Rübensuppe zurück. Er hatte gestern ziemlich viel davon gegessen und zu spät bemerkt, dass es offenbar die Leibspeise der Kinder war. Heute beschränkte er sich auf Fisch und Brot, das eine salziger als das andere. Er trank eine große Menge Wasser, sowohl gegen den Durst als auch gegen den rasenden Hunger in seinem Bauch, der durch die paar Heringe und Brotstücke eher größer als kleiner geworden war. Sein Magen gab ein aufdringliches Gurgeln von sich, laut genug, dass sogar die Kinder kurz mit ihrem Gezanke innehielten und kichernd zu ihm aufsahen.
»Noch Hunger, Herr?«, fragte Gwezhenneg.
»Es gibt noch mehr«, meinte Tekla und stand auf, ohne seine Antwort abzuwarten.
»Nein, nein.« Seog winkte hektisch ab und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn sein Bauch beschämte. »Ich brauche nicht mehr zu essen.«
Die Frau warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Ihr seht hungrig aus wie ein Wolf, Herr. Ihr solltet noch etwas essen, sonst werdet Ihr schwach und müde.«
Seog fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Er hatte
solchen
Hunger! »Aber dann werdet
Ihr
schwach und müde! Was wäre ich für ein Gast, der seinen Gastgebern die Haare vom Kopf frisst!«
Tekla griff nach der Schöpfkelle, angelte ein paar weitere Heringe aus dem Salzfass und kippte sie auf seinen Holzteller. »Was wären wir für Gastgeber«, erklärte sie dabei, »wenn wir unseren Gast verhungern ließen? Abgesehen davon ist es nicht wichtig, ob wir hungern oder nicht. Aber Ihr, Ihr seid Druide – der letzte am Fjord. Wir können nicht zulassen, dass Ihr hungert!«
Da war es wieder, diese versteckte Aufforderung, die Seog sounangenehm war.
Hilf uns
, schien Tekla damit ausdrücken zu wollen,
sag uns, was wir tun sollen.
Am liebsten würde Seog aufstehen und rufen: »Und wer sagt
mir
, was ich tun soll?« Doch dies würde sämtlichen Silbernen Regeln widersprechen, die ihm seine Eltern je beigebracht hatten. Niemals Schwäche zeigen, das war die wichtigste aller dieser Regeln – und schon gar nicht gegenüber einem Nicht-Druiden. Deshalb hielt er den Mund, versuchte die hoffnungsvollen Blicke zu ignorieren, mit denen ihn die Sippschaft bedachte, und konzentrierte sich auf den Teller, den ihm Gwezhennegs Frau vorsetzte. Hier wartete schon sein nächstes Unglück: Er sollte doch sicherlich nichts mehr essen! Doch sein Magen rumpelte aufdringlich, das Wasser lief ihm im Munde zusammen, als er die Heringe und Knäckebrote auf seinem Teller begutachtete. Was würde Derrien machen? Er würde es bestimmt nicht annehmen, der Schattenfeind war Waldläufer und als solcher Hunger gewöhnt! Aber würde Derrien auf der anderen Seite zulassen, dass der Hunger seine Kampfkraft einschränkte? Die Scham über seine Unentschlossenheit und seinen Hunger ließ sein Gesicht brennen wie Feuer, und er war froh, dass seine wettergegerbte Haut die Schamesröte nicht erkennen ließ. Schließlich gab er den Forderungen seines Magens nach, mit äußerst schlechtem Gewissen und dem Gefühl, dass jeder Einzelne in der Rundhütte ihn dabei beobachtete.
»Also herrscht Frieden mit den Germanen?«, fragte er, um von sich abzulenken. Dies war eines der Themen, die sie bisher nur kurz angeschnitten hatten.
Gwezhenneg zuckte mit den Schultern. »Frieden … Ich weiß nichts von Frieden. Die norðmenn haben die überlebenden Druiden ins Exil nach Großbritannien geschickt, aber ob sie sich damit Frieden erkauft haben … Seitdem die Germanen hier herrschen, habe ich nichts mehr von irgendwelchen Kelten außerhalb des Fjordes gehört.«
Seog ärgerte sich über seine Plumpheit. Die Politik zwischen den Stämmen war schon immer Druidensache gewesen, selbst früher hätte Gwezhenneg die Frage wohl nicht beantworten können.
»Gibt es schon Pläne, euch zu entwurzeln?«
Gwezhenneg schüttelte den Kopf. »Es heißt, dass die norðmenn damit noch warten wollen. Angeblich hoffen sie auf einen großangelegten Austausch von Kriegsgefangenen mit Großbritannien.«
Aha.
Das klang logisch. Das Ritual der Entwurzelung beraubte einen Menschen jeglichen spirituellen Erbes. Bis
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