Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
dahin blieb ein Kelte ein Kelte, egal, wie lange er unter der Herrschaft der Germanen lebte, und auch seine Söhne und Töchter wurden Kelten. Solange sie Kelten waren, würden sie bei den Jarlen der Germanen den Stammeshass auslösen und Menschen zweiter Klasse bleiben. Nur das Ritual der Entwurzelung konnte diese Ausgrenzung durchbrechen, es machte einen Menschen spirituell gesehen völlig neutral. Allerdings schienen die Magier beider Völker bevorzugt aus Ehen hervorzugehen, deren Partner mit einem besonders ausgeprägten spirituellen Erbe gesegnet waren. Deshalb die Hoffnung auf einen Gefangenenaustausch – so konnten beide Seiten den Verlust der Spiritualität vermeiden und in der nächsten Generation auf mehr Magier hoffen, als wenn sie großzügig entwurzelt hätten.
Seog folgte Gwezhennegs Blick, der nachdenklich aus der offen stehenden Tür zum dunkelblauen Wasser des Fjordes sah. Der Wind trieb große Wellen heran, die sich rauschend am Uferkies brachen. Einige Meter höher den Strand hinaufgezogen lagen mehrere Fischerkähne auf der Seite und warteten vergeblich darauf, dass die Bedrohung durch den Dämon zu Ende ging. Segel und Taue, Fischkörbe und Ausrüstung waren abmontiert und ausgeräumt, so dass nur noch die Hüllen übrig waren, leer und trostlos. Seog presste traurig die Lippen aufeinander.
»Was habt Ihr nun vor, Herr?«, frage Gwezhenneg.
Da war er wieder, dieser Hilferuf. Seog würde viel dafür geben, einfach
Ich weiß es nicht!
sagen zu können. Doch er konnte nicht. Die Silbernen Regeln waren mehr als eindeutig in dieser Beziehung. Er war Druide, und die Menschen erwarteten von einem Druiden, dass er Antworten hatte auf die großen Unsicherheiten des Lebens. Zuzugeben, dass er völlig ratlos war, wäre unverzeihlich.
Doch was sollte er tun? Die Bretonen – müde von den Strapazen des Kriegszuges gegen die Schatten – schienen sich mit dem Dasein in der germanischen Kriegsgefangenschaft abgefunden zu haben, zumal diese sie nicht schlecht zu behandeln schienen. Wie hatte es Gwezhenneg vorhin gesagt? »Sie haben gewonnen, wir haben verloren. Dass sie uns aus unseren Hallen geworfen und uns in die Hütten der Leibeigenen gesteckt haben, war doch nur zu erwarten. Aber die Machtübernahme war friedlich. Sie haben keine Männer verprügelt, keine Frauen vergewaltigt, keine Häuser in Brand gesteckt, und das ist, was zählt.«
Aber war es das wirklich? Seogs Ahnen schienen anderer Meinung zu sein. In seinem Hinterkopf schrien sie bereits Zeter und Mordio, fluchten und geiferten. Seog war zwar schon immer gut darin gewesen, dem gefürchteten Druidenhass standzuhalten, doch es war nicht schön, ihre Beschimpfungen und Flüche mit anzuhören. Er hielt sich nicht für einen Schlappschwanz oder für einen feigen Hurensohn –
Was das wohl über meine Ahnen selbst aussagt?
, wunderte er sich –, aber als sie ihn als Schande für seine gesamte Linie bezeichneten, traf ihn das sehr, so sehr, dass es ihm schwerfiel, eine Träne zurückzuhalten. Er wollte keine Schande sein, schon gar nicht für seine Eltern, die ihm so viel geholfen hatten, mit all ihren Geschenken und Gaben und Regeln, die ihm das Leben erleichterten.
Also was sollte Seog tun? Einen Versuch unternehmen, seinen Stamm zu befreien, der, wie es schien, gar nicht befreit werden wollte? Oder sollte er stillhalten und ein Verräter an seinen Vorfahren werden?
»Abwarten«, antwortete er schließlich nach langem Grübeln auf Gwezhennegs Frage. Die Antwort war nur wenig besser, als sein Unwissen einzugestehen, aber es war die beste, die ihm einfiel.
Der besorgte Blick, den die beiden Eheleute austauschten, währte nur für einen Moment, aber Seog bemerkte ihn. Er seufzte innerlich. Sie gingen ein Risiko ein, ihn hier zu verstecken, denn wenn man ihn für einen Spion hielt, würden sie als seine Helfer ebenfalls in Schwierigkeiten geraten. Abgesehen davon war er einhungriges Maul mehr, das es zu stopfen galt. Doch Gwezhenneg sprach keine dieser Bedenken aus. »Natürlich, Herr«, meinte er nur. »Bleibt, solange Ihr wollt.« Der Mann stand auf und ging ans Tischende zu seinen Kindern. Er beugte sich zu ihnen und legte ihnen die Arme auf die Schultern, die beiden Söhne auf der rechten, die Tochter auf der linken Seite. »Wir haben schon einmal darüber gesprochen«, meinte er zu ihnen in verschwörerischem Unterton. »Aber ich muss es euch noch einmal sagen. Ihr dürft niemandem etwas von Seog erzählen.
Niemandem!
Nicht einmal euren
Weitere Kostenlose Bücher