Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
anzuvertrauen, nachdem er ihnen die Freiheit geschenkt hatte?
Wollte er das alles überhaupt?
Langsam schüttelte er den Kopf. Noch vor einer Stunde hatte er sich leer und ausgebrannt gefühlt. Er hatte sich nach einer Pause gesehnt, nach Urlaub. Jetzt wünschte er sich nichts mehr, als weitermachen zu können wie bisher.
Das Schicksal ist genauso bösartig wie wir Menschen
, dachte er bitter.
Es lässt uns immer nach dem sehnen, was wir nicht haben können.
Doch war das wirklich wahr? Er schnaubte verächtlich. Natürlich nicht. Herwarth war ein Hitzkopf, aber Wolfgang hatte noch nie erlebt, dass der Fürst nachtragend wäre. Eine einfache Entschuldigung würde ausreichen.
Aber war er bereit, sich zu entschuldigen? War er bereit, auf einen Prozess für diese Keltin zu verzichten?
Nein.
Aber er hatte eine andere Idee.
»Was?« Herwarths Stimme klang noch immer wütend, als er auf Wolfgangs Klopfen reagierte.
»Ich bin es. Wolfgang.«
»Komm rein.«
Der Fürst saß noch immer an seinem Tisch. Einen Fuß hatte er auf den Sims der Schießscharte gelegt, auf dem Knie stützte sein Ellbogen, und wahrscheinlich hatte auf der Hand sein Kinn gelegen, ehe Wolfgang angeklopft hatte.
»Was willst du?«, knurrte Herwarth. »Bist du hier, um dich zu entschuldigen? Solange du die Anklage nicht fallen lässt, kannst du gleich wieder verschwinden!«
Der Zorn in den Augen des Fürsten sagte Wolfgang, dass Herwarth einen Kompromiss niemals akzeptieren würde.
Nicht, dass ich damit gerechnet hätte …
»Ich bin hier«, erklärte er, »weil ich wissen wollte, ob Ihr noch immer jemanden braucht, der die beiden Salzkähne zu den Friesen begleitet.« Wolfgangs Stimme klang gefasster, als er sich fühlte.
Herwarths Augen funkelten ihn zornig an, als er zu einer scharfen Entgegnung ansetzte. Doch dann hielt der Fürst inne.
Natürlich
hielt er inne. Ihm war genauso klar wie Wolfgang, dass er ihn brauchte. Wolfgang war schon immer Herwarths Kundschafter gewesen, ohne ihn war der Fürst praktisch blind. Insbesondere jetzt, da der Dämon in Hamburg den Handel blockierte, der so wichtig war für
Lhiuniburc
, brauchte er Wolfgang. Im Grunde genommen war es Erpressung, was Wolfgang da tat –
akzeptiere meine Anklage oder verzichte auf meine Hilfe!
Es war eiskalte Berechnung. Er hasste sich dafür.
Schließlich fasste sich der Fürst ein Herz. Er brauchte ihn. »Ja«, zischte er, noch wütender als vorher, falls das noch irgendwie möglich war.
Wolfgang nickte. »Ich spreche mit den Kapitänen.« Er wandte sich um und ging nach draußen.
Der Fürst hatte bewiesen, dass er bereit war, für das größere Gut über seinen Schatten zu springen. Damit hatte er Größe bewiesen, Größe, die Wolfgang nicht besaß.
Er fühlte sich schäbig, als er die Treppe nach unten ging, auf der Suche nach Rudeger und Walther.
SEOG (2)
Ilan Keoded /Vestnes am Romsdalsfjord, Norwegen
Mittwoch, 03. November 1999
Die Innenwelt
Der Hunger im Tal des Romsdalsfjords machte sich auch an Gwezhennegs Tafel bemerkbar. Die Fischer hatten bereits die für die stürmischen Winterwochen gedachten Notvorräte angebrochen, weshalb das Morgenbrot aus trockenem Knäcke und gesalzenem Hering aus dem Fass bestand. Dazu gab es Rübeneintopf, was in den Tagen nach Samhain althergebrachte keltische Tradition war. Man konnte ja das gute Fruchtfleisch, das man den Rübenlichtern entnommen hatte, nicht verkommen lassen.
Die Stimmung in Gwezhennegs Sippschaft war überraschend gut. Obwohl sie vor dem Germanenaufstand noch ein großes Langhaus bewohnt und deutlich mehr Platz gehabt hatten, hatten sich die Familienmitglieder mit ihren neuen Lebensumständen arrangiert. Nun wohnten die sieben Erwachsenen und fünf Kinder eben etwas beengter. Die Frauen saßen den ganzen Tag zuhause und spannen Wolle, um den Fischkähnen Ilan Keodeds im nächsten Jahr neue Segel aufziehen zu können, in der Hoffnung, dass der Dämon bis dahin verschwunden war und die Fischer wieder aufs Meer konnten. Die Männer waren damit beschäftigt, modernde alte Baumstümpfe aus einem Linsenacker am Dorfrand zu graben. Seog würde ihnen gerne helfen, doch er wagte sich nicht aus der Hütte. Zu groß war das Risiko, einem der norðmenn über den Weg zu laufen. Er versuchte, sein schlechtes Gewissen damit zu beruhigen, dass er immer noch Informationen sammelte, gemäß der Silbernen Regel.
Doch natürlich war weder das Verstecken noch das Sammeln von Informationen der Hauptgrund, hier
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