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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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verunsichert.«
    »Inwiefern verunsichert?«
    Kim legte beide Hände auf die ledernen Armlehnen des Stuhles und wippte sachte hin und her. Sie fühlte sich wie in einem winzigen Kahn, der auf hoher See von den Wellen hin und her geworfen wurde und drohte, jeden Moment zu kentern. Nachdenklich zuckte sie mit den Schultern. »Ich habe lange nicht an Ninas Tod denken müssen«, meinte sie dann. »Jedenfalls nicht auf diese Weise …«
    »Auf welche Weise?«, hakte Dr. Schinzel nach.
    Kim richtete den Blick auf die große Standuhr seitlich hinter ihm an der Wand. Sie ging schon lange nicht mehr, weil das Zifferblatt einen Riss hatte. Die Zeiger zeigten auf Viertel vor zehn. »Die Erinnerungen kommen …« Sie musste nach dem richtigen Wort suchen. »… plötzlich. Wie ein Blitz. Und dann muss ich wieder daran denken, an dieses … wie haben Sie es genannt?«
    »DAS BÖSE?«
    Kim nickte. »Ja.«
    Dr. Schinzel stand auf und wandte sich dem Fenster zu. »Nun, das war zu erwarten. In jeder Therapie gibt es Fortschritte und Rückschläge. Das ist ganz normal.« Er öffnete das Fenster einen Spaltbreit und die Geräusche der Straße drangen von unten herauf. Kim hörte ein Auto hupen. Im Park gegenüber lachte ein Kind. Erst nach einigen Minuten drehte der Arzt sich wieder zu ihr um. »Oftmals gibt es einen Auslöser für solche Rückschritte«, erklärte er. »Das Unterbewusstsein reagiert auf winzige Kleinigkeiten, einen Geruch, den du vielleicht bewusst gar nicht wahrnimmst, einen Klang, ein paar Töne. Hast du in der letzten Zeit vielleicht jemanden getroffen, oder jemanden Neuen kennengelernt, den du mit Nina in Verbindung bringst?«
    Spontan musste Kim an Lukas denken, aber dann schüttelte sie den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
    Lukas und Nina hatten nicht das Geringste miteinander zu tun.
    »Aber da ist jemand, an den du denkst, oder?«, hakte Dr. Schinzel nach.
    Kim wunderte sich nicht zum ersten Mal, wie gut er sie durchschaute. Dennoch zögerte sie. »Es gibt da einen Jungen …«, begann sie, dann verstummte sie wieder.
    »Einen Jungen?«
    »Ja. Er geht auf meine Schule.«
    Dr. Schinzel schwieg, während Kim mit sich rang, wie viel sie ihm von Lukas erzählen sollte. Sie wusste ja selbst noch nicht genau, was sie von ihm halten sollte. Nur dass sie andauernd an ihn denken musste, das war mehr als klar.
    Weil sie nicht weitersprach, stellte der Psychiater eine Frage: »Dann bist du inzwischen wieder so weit, dass du dir vorstellen kannst, einen Freund zu haben?«
    In den vergangenen zwei Jahren hatten er und Kim ziemlich mühsam an Kims Ängsten gearbeitet. Eine dieser Ängste war die vor Jungs. Weil Ninas Mörder noch immer frei herumlief, war Kim übervorsichtig geworden. Immer wenn sich ein Typ offensichtlich für sie interessierte, hatte sie ihn durch ihre kühle Art und sehr abweisendes Verhalten sofort wieder verschreckt. Alle hatten sich nach kurzer Zeit wieder von ihr abgewandt.
    Wer konnte schon wissen, ob der Junge, mit dem sie gerade ausging, nicht Ninas Mörder war?
    Diesen Gedanken hatte sie monatelang einfach nicht aus dem Kopf bekommen.
    »Die Wahrheit ist, ich weiß es nicht«, gestand sie.
    Dr. Schinzel nickte. »Aber du denkst darüber nach. Das ist gut. Dieser Junge, von dem wir hier sprechen: Glaubst du, er könnte derjenige sein …«
    Wenn überhaupt jemand, dann er, schoss es Kim durch den Kopf. Sie spürte, wie sie rot wurde. In diesem Moment erst wurde ihr bewusst, dass sie bei Lukas keinen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte, ob er Ninas Mörder sein könnte. Warum eigentlich nicht?
    Dr. Schinzel schmunzelte. Das war ein so ungewöhnlicher Anblick, dass Kims Kopf noch ein wenig heißer wurde. Am besten, sie wechselte jetzt das Thema!
    »Ich hatte neulich einen sehr sonderbaren Traum«, sagte sie.
    »Erzähl mir davon!«, verlangte der Arzt.
    Sie schilderte dem Psychiater den Traum von Nina in dem roten Zug. Aus irgendeinem Grund, der ihr selber nicht klar war, ließ sie den Kabelbinder weg. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie, nachdem sie zu Ende erzählt hatte.
    Der Arzt blickte auf seine Armbanduhr. »Vielleicht will dein Unterbewusstsein dir sagen, dass es an der Zeit ist, deine Schwester loszulassen.«

Kapitel 7
    Der Samstag und damit das Treffen im Pascha kamen dann doch schneller, als es Kim lieb gewesen wäre.
    Sie kannte Lukas erst ein paar Tage. Sie hatte keine Ahnung, was damals wirklich mit ihm los gewesen war, als er so lange nicht zur Schule gekommen war. Und

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