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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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blauen Bank vor dem Terrarium.
    Kim kaufte sich ein belegtes Brötchen. Einen Moment lang stand sie unschlüssig mitten in der Eingangshalle herum, bevor sie sich einen Ruck gab und sich in Lukas’ Richtung in Bewegung setzte. Ebenso selbstverständlich, wie er es am Vortag getan hatte, nahm sie auf der Bank Platz und biss in ihr Brötchen.
    Er lächelte ihr zu, kümmerte sich aber nicht weiter um sie.
    Während er sein Studentenfutter aß, knisterte die Tüte in regelmäßigen Abständen, wenn er eine weitere Nuss oder Rosine heraussuchte. Schließlich knüllte er die Tüte zusammen und stopfte sie in die Tasche seiner schwarzen Jeansjacke. Ob sich dort noch immer der Libellenflügel befand?
    »Nina Ferber.« Die beiden Worte fielen völlig unerwartet. Kim zuckte zusammen, als sie den Namen ihrer Schwester hörte. »Das Mädchen, das erwürgt wurde«, fügte Lukas hinzu.
    »Was ist mit ihr?«, fragte sie. Ihre Stimme klang belegt.
    »Sie war deine Schwester, oder?«
    Kim nickte. Das wusste er doch ohnehin schon. Wieso musste er das jetzt ansprechen?
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er leise.
    Sie wollte nicht über Nina sprechen. Lukas’ Nähe erfüllte sie mit einer kribbeligen Unruhe, die sie trotzdem irgendwie angenehm fand. Wenn er wirklich nur ihretwegen Jonas ein blaues Auge verpasst hatte …
    Sie schluckte.
    »Was war mit dieser Libelle?«, fragte Lukas.
    Kim blinzelte. »Was meinst du?« Sie fragte, um Zeit zu gewinnen, denn in Wahrheit wusste sie genau, was er meinte. Das Kribbeln im Bauch war weg, so als hätte eine riesige, eisige Hand es fortgewischt und dann ihre gesamten Eingeweide gepackt und zu einem kalten Klumpen zusammengepresst.
    Lukas bemerkte ihre plötzliche Anspannung. »Wir müssen nicht darüber reden«, lenkte er schnell ein. Aber Kim überkam plötzlich das Bedürfnis, endlich einmal mit jemandem offen über die ganze Sache zu sprechen. Mit jemand Normalem, korrigierte sie sich im Stillen, der nicht ihr Psychotherapeut war, denn das war etwas ganz anderes.
    »Schon gut«, beschwichtigte sie. »Es ist nur …« Das Bild von Ninas blassem Gesicht mit dem schillernden Insekt darauf trat vor ihr inneres Auge, machte sie einen Moment lang blind. »Der Mörder hat Ninas Leiche damit verziert«, stieß sie so hastig wie möglich hervor. Ihre Kehle war eng und ihr Herz schlug so hart in ihrer Brust, als sei es plötzlich nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern aus kaltem Metall.
    »Mit einer Libelle?«, hakte Lukas nach.
    Kim musste tief Luft holen, bevor sie nicken konnte. Dann beschrieb sie ihm, wie man Ninas Leiche gefunden hatte. »Die Polizei hat es damals geheim gehalten. Aus ermittlungstaktischen Gründen, haben sie gesagt.« Sie strich sich unauffällig über die Wangen. Zu ihrer Überraschung waren sie trocken. »Komisch, ich habe bisher noch nie mit einem Fremden darüber gesprochen.«
    Bei dem Wort »Fremder« verengten sich Lukas’ Augen einen Moment, aber dann nickte er. »Woher weiß dieser Jonas dann davon?«
    »Er weiß es nicht, jedenfalls nicht das mit Nina. Was er weiß, ist, dass ich beim Anblick von Libellen Schreikrämpfe bekomme.«
    Lukas holte tief Luft. »Wenn du Einzelheiten loswerden willst …«, meinte er vorsichtig.
    Kim zerknüllte die Serviette, die sie ihr am Schulkiosk zusammen mit dem Brötchen gegeben hatten. »Es gibt nicht viel zu erzählen. Das Wichtigste stand damals in allen Zeitungen.«
    »Ich fürchte, ich habe nichts davon mitbekommen.«
    Kim sah Lukas an. »Warum nicht?«, fragte sie. Sie war froh, das Gespräch auf etwas anderes lenken zu können.
    »Ich war damals gerade nicht in der Stadt.«
    »Warum nicht?«
    »Ich … ich konnte aus bestimmten Gründen für einige Zeit nicht in die Schule gehen.« Lukas senkte den Kopf, sodass die strubbeligen Haare seine Augen verbargen. Es war deutlich, dass ihm das Gesprächsthema unangenehm war.
    »Weißt du, was die anderen über dich erzählen?«, fragte Kim ihn.
    »Über mich?«
    »Über deine Auszeit.«
    »Nein. Was?« Endlich hob Lukas wieder den Kopf. Sein Blick wirkte heute noch brennender, noch intensiver und wieder fragte Kim sich, ob er sich schminkte oder seine Augen von Natur aus so ungewöhnlich wirkten.
    »Sie behaupten, du seist im Knast gewesen.« Kims Worte hingen einen Moment lang in der Luft und Lukas legte den Kopf schief, als müsse er erst einmal darüber nachdenken.
    »Echt?«
    »Das musst du doch mitbekommen haben«, meinte Kim. »Die Leute an dieser Schule sind wirklich alles

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