Schattenfluegel
aufregend.
Doch zu ihrer Enttäuschung schüttelte Lukas den Kopf. »Mit dem Bus. Wie du auch.«
»Warum dann Cola?« Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Flasche. Heute Abend, beschloss sie, würde sie versuchen, ein bisschen mehr über Lukas herausfinden.
»Einfach so.« Schon wieder verfinsterte sich seine Miene und Kim entschied sich für eine andere Taktik.
»Was hast du in der letzten Zeit so getrieben?«, fragte sie. Ein Kichern perlte wie ein Bläschen in ihrer Brust nach oben, aber sie unterdrückte es. »Ich meine, im Knast wirst du kaum gewesen sein, wie die anderen behaupten. Oder?« Unter ihrem Pony hervor warf sie ihm einen fragenden Blick zu.
Er saß eine Weile regungslos da. »Nein.« Er schüttelte den Kopf, machte aber keine Anstalten, Kims Frage zu beantworten.
»Komm schon!«, drängte sie und trank einen weiteren Schluck. Ihre Flasche war jetzt fast leer und das Kreisen in ihrem Kopf so stark, dass sie die Füße auf den Boden stemmen musste, damit nicht auch die Welt um sie herum anfing, sich zu drehen.
Sabrina ließ kurz von Mr Pferdeschwanz ab und mischte sich ein. »Was soll er?«
»Er will mir einfach nicht verraten, was er in der letzten Zeit gemacht hat!«, beklagte Kim sich. Klangen ihre Worte wirklich so jammerig? So betrunken war sie doch gar nicht! Unsicher leckte sie sich über die Lippen. Dabei spürte sie, wie Lukas’ ernster Blick auf ihr ruhte.
Sabrina bemerkte die Spannung, die plötzlich in der Luft lag. Ihre Augen glänzten auf eine ungewöhnliche Weise. »Vielleicht war er wirklich im Knast!«, nuschelte sie und bewies damit, dass sie trotz ihrer Knutscherei noch eine ganze Menge von dem, was um sie herum vorging, mitbekommen hatte. »Ich meine: Jonas hat behauptet, dass er ihm das Veilchen verpasst hat, und mal ehrlich! So wie er gerade die Treppe runtergestürmt ist, als er mitbekommen hat, dass dieser Typ dich anmacht. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er ihm den Schädel eingeschlagen hätte!«
Während Sabrinas Worten ging eine Veränderung mit Lukas vor. Plötzlich saß er stocksteif da. Seine Hand krampfte sich so heftig um das Colaglas, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Der Blick, mit dem er Sabrina anstarrte, war eine Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit.
»Was ist?«, wehrte sie sich. »Habe ich etwa ins Schwarze getroffen?«
Kim legte ihr eine Hand auf den Arm, um sie zu stoppen, doch es war bereits zu spät.
Vorsichtig, als habe er Angst, es zu zerbrechen, stellte Lukas das Glas auf den Tisch. Dann stand er auf. Seine Bewegungen wirkten mühsam, so, als stünde er unter einer großen Anspannung, die er kaum unter Kontrolle halten konnte.
Sein Blick heftete sich auf Kim. »Kommst du allein nach Hause?«, fragte er steif.
Kim nickte. »Klar.« Sie war verwirrt und ein bisschen erschrocken. Was war nur mit Lukas los?
»Gut.« Ohne noch einen weiteren Ton zu sagen, wandte er sich ab und schob sich durch die Menge davon. Kim sah, wie er an der Garderobe nach seiner Jacke verlangte, und nachdem man sie ihm gegeben hatte, verließ er die Disco mit langen Schritten.
Sabrina starrte vor sich hin, als habe Lukas sich vor ihren Augen in Luft aufgelöst. »Du liebe Güte!«, ächzte sie. »Was war das denn?«
Kapitel 9
Nach Lukas’ abruptem Abgang war Kim so ernüchtert und enttäuscht, dass sie beschloss, auch nach Hause zu fahren, obwohl es noch nicht ganz zehn war. Sabrinas Geturtel mit dem Pferdeschwanztypen ging ihr schon länger auf die Nerven. Kurz vor zehn fuhr ein Bus, der vorletzte an diesem Abend, und den nahm sie. Während sie aus dem Busfenster starrte, ärgerte sie sich über sich selbst, über ihre blöden Sprüche, mit denen sie Lukas ganz offensichtlich ziemlich sauer gemacht hatte. Aber ein bisschen ärgerte sie sich auch über Lukas. Warum tat er auch immer so geheimnisvoll? Was, wenn die Dinge stimmten, die sich alle über ihn erzählten?
Der Aufstieg in den Apfelbaum erwies sich als weitaus schwieriger als der Abstieg, aber schließlich hatte Kim ihn bewältigt. Ihr Atem ging schwer, als sie durch das Fenster in ihr Zimmer krabbelte. Bewegungslos verharrte sie einen Moment. Aber im Haus war alles still. Leise öffnete Kim ihre Zimmertür und lauschte, ob unten im Wohnzimmer der Fernseher lief. Um diese Zeit schaute Sigurd gewöhnlich die Tagesthemen, aber heute war nichts zu hören. Seltsam!
Ob Sigurd schon schlafen gegangen war? Das war ziemlich unwahrscheinlich, denn er war eine Nachteule, die locker bis zwei, drei
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