Schattenfluegel
Geschmack. Trotzdem nahm sie drei, vier Schlucke, um nichts sagen zu müssen.
Auch der Typ mit dem Pferdeschwanz schwieg.
»Was trinkst du?«, hörte Kim Sabrina fragen, während sie auf Lukas’ Glas deutete.
»Cola«, antwortete er einsilbig.
»Schon klar«, hakte Sabrina nach. »Aber mit was drin?«
»Einfach nur Cola.« Lukas’ Mund war ein schmaler Strich, doch langsam entspannten sich seine Züge wieder. Er fing einen von Kims unsicheren Blicken auf und lächelte ihr leicht zu.
Kim fiel ein Stein vom Herzen.
Sie lehnte sich zurück. Dass Marie immer noch nicht zu sehen war, machte sie jetzt langsam doch nervös und darum holte sie ihr Handy heraus.
»Du liebe Zeit!«, entfuhr es Lukas. »Stammt das noch aus der Steinzeit?«
Das Gerät war immer noch dasselbe, das sie schon damals besessen hatte, als Nina gestorben war. Obwohl Kim so schreckliche Erinnerungen damit verband, hatte sie es nicht übers Herz gebracht, sich ein neues zu kaufen. Ninas Handy, jenes, das nach dem Mord nicht wieder aufgetaucht war, war exakt das gleiche Modell gewesen. Kim und Nina hatten es sich damals beide am gleichen Tag gekauft und irgendwie kam es Kim so vor wie die allerletzte Verbindung, die ihr noch zu ihrer toten Schwester geblieben war. Aus diesem Grund telefonierte sie noch immer mit diesem unhandlichen Teil, obwohl seine Kamera nur eine geringe Auflösung hatte und es darüber hinaus nicht MMS-fähig war.
Jetzt grinste Kim Lukas an. »Na, na!«, tadelte sie und warf ihm einen übertrieben strafenden Blick zu.
Er lachte und sie fiel ein. »Steinzeit ist gemein«, sagte sie und pustete sich gegen den Pony. »Es stammt nämlich immerhin aus der Bronzezeit.«
»Sieht man.« Lukas warf einen Blick auf das Display, als Kim versuchte, Maries Nummer zu wählen.
Es klingelte einmal, zweimal. Dann schaltete das Handy sich automatisch ab.
»Typisch!«, murmelte Kim. »Der Akku hält kaum noch und ich habe vergessen, ihn aufzuladen.«
»Warum kaufst du dir kein Neues?«, fragte der Typ mit dem Pferdeschwanz. Er hatte eine helle Stimme, die seltsam kindlich klang – so, als sei er noch nicht im Stimmbruch gewesen.
Kim zuckte mit den Schultern.
Der DJ legte nun wieder lautere Songs auf, sodass sie alle drei die Stimmen heben mussten. Lukas brachte sein Gesicht dicht an Kims Ohr. »Warum nicht?«, fragte er und fügte hinzu: »Ehrlich sein!«
Und da erzählte sie ihm davon, wie sie und Nina die Handys gemeinsam gekauft hatten. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, ihm auch von Ninas letztem Anruf zu erzählen, aber sie ließ es dann doch. Das schlechte Gewissen über ihr Versäumnis war immer noch zu groß. Und sie wollte auf keinen Fall, dass Lukas schlecht von ihr dachte. »Ich bringe es einfach nicht übers Herz, es wegzuwerfen«, schloss sie mit einem schiefen Grinsen. »Findest du das schräg?«
Lukas wiegte den Kopf hin und her. »Hab schon Schrägeres erlebt«, sagte er nur.
Kim wandte sich an Sabrina. »Versuch du es mal!«
Sabrina brauchte einen Moment, bis sie begriff, was Kim von ihr wollte. »Ach so!«, sagte sie schließlich, zog ihr Handy raus und suchte nach Maries Nummer.
Sie ließ es lange klingeln. Aber am anderen Ende meldete sich niemand. Schließlich klappte Sabrina ihr Handy wieder zu. »Keiner zu Hause«, schrie sie gegen den Lärm der Musik an.
Nachdem sie ihre Getränke ausgetrunken hatten, gingen sie wieder auf die Tanzfläche. Später, irgendwann gegen halb zehn holte Sabrina für alle noch eine Runde. Sie drückte Kim ein zweites Lemonbier in die Hand und sie nahm es, auch wenn sie wusste, dass sie das besser nicht getan hätte. Aber die Stimmung war inzwischen so gut. Sabrina hatte schon die dritte Cola-Rum und knutschte die ganze Zeit ungeniert mit dem Pferdeschwanztypen. Was war dagegen schon eine zweite Flasche! Kim warf alle Bedenken über Bord und trank ein paar Schlucke.
Ihr Kopf kreiste, aber das Gefühl war gar nicht so unangenehm. Als sie sich wieder in einen der Sessel fallen ließ und die Beine ausstreckte, fühlte sie sich so selbstsicher und wunderbar wie schon lange nicht mehr.
Lukas setzte sich neben sie. In der Hand hielt er eine neue Cola.
Kim griff danach und entriss sie ihm. Dann nippte sie daran.
»Das ist ja tatsächlich nur Cola!«, meinte sie enttäuscht.
»Habe ich doch gesagt.« Er nahm ihr das Glas wieder weg.
»Warum trinkst du nichts? Bist du etwa mit dem Auto hier?« Die Vorstellung, dass jemand, mit dem sie ausging, bereits Auto fahren konnte, war
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