Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
den strengen Alkoholgeruch wahrnahm, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken.
    Lukas nickte knapp.
    Schweigend wies Sigurd auf die Prellung an Lukas’ Kiefer. »Das solltest du verarzten lassen«, sagte er mit kühler Stimme. »Es sieht übel aus.«
    Lukas ließ seinen Blick nicht von ihm und nickte noch einmal. Dabei schwankte er wie ein Schilfrohr im Wind. Langsam drehte er sich ein Stück und sah nun Kim direkt in die Augen. Sie dachte, er würde seine Worte von eben wiederholen und würde erneut behaupten, dass es ihm leidtue. Doch er schwieg.
    »Es ist besser, du gehst jetzt«, sagte Sigurd. Er hatte sich so hingestellt, dass Lukas an ihm vorbeimusste, wenn er zu Kim wollte.
    Kim schluckte. Auf einmal lag eine Spannung in der Luft, die sie an zwei Tiger denken ließ, die sich in einem zu kleinen Gehege gegenseitig umkreisten.
    »Kim, ich …« Lukas machte einen Schritt auf sie zu, aber Sigurd hatte nicht die Absicht, ihn vorbeizulassen.
    Stattdessen packte er Lukas grob Arm. »Ich habe gesagt, du sollst gehen!«
    Lukas’ Fuß verfing sich in einer Wurzel, er geriet ins Straucheln und fiel Sigurd genau in die Arme. Darauf war Sigurd ganz offensichtlich nicht vorbereitet gewesen. Er wich einen Schritt zurück, Lukas fiel der Länge nach hin, riss ihn mit sich und gleich darauf lagen beide am Boden. Es gab ein kurzes Gerangel.
    Sigurd sprang wieder auf und zerrte dann auch Lukas mit einem Ruck auf die Beine. Er drehte ihn so, dass er in Richtung Straße schaute. »Sieh zu, dass du wegkommst«, sagte Sigurd und beim Ton seiner Stimme konnte man sich gut vorstellen, was sonst geschehen würde.
    Über die Schulter schaute Lukas zu Kim zurück. »Okay. Schon gut.« Blut rann über seine Stirn und sammelte sich in seiner rechten Augenbraue. Kim erschrak. Jetzt plötzlich hatte er eine dicke Schramme dicht unter dem Haaransatz.
    Ihr Blick wanderte zu Sigurds Indianerring. Offenbar hatte er Lukas damit am Kopf getroffen, als der auf ihn gefallen war.
    Mit einem Blick, der etwas in Kim erzittern ließ, sah Lukas sie nun an. »Entschuldige, dass ich dich geweckt habe«, sagte er tonlos, dann wandte er sich ab und ging.
    »Warte!«, rief Kim hinter ihm her und mitten auf dem Rasen blieb er stehen. Sie rannte zu ihm und deutete auf die Schwellung an seinem Kiefer. »Was ist passiert?«
    Mit dem Daumenballen tastete er die Stelle ab und zog dabei scharf Luft durch die Zähne ein. Über seine Finger hinweg sah er Kim an. »Ich kann es beherrschen«, flüsterte er. »Das verspreche ich dir!«
    Und mit diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit.
    Erschrocken und nun vollkommen verwirrt starrte Kim ihm hinterher. Sigurd murmelte einen leisen Fluch, dann legte er den Arm um Kim und drängte sie sanft, aber bestimmt zurück ins Haus.
    In den letzten zwei Jahren waren manche, aber nicht alle Sonntage eine einzige Qual gewesen. Kim hatte noch nicht herausgefunden, woran es lag, dass der eine ganz entspannt verging, während schon der nächste wie eine endlose Folge von düsteren Stunden sein konnte, in denen ihre Gedanken nur um eines kreisten – um Nina.
    Der Sonntag, der dem missglückten Discobesuch folgte, würde so ein düsterer Tag werden, das war Kim bereits klar, als sie frühmorgens zum ersten Mal aufwachte. Einige Minuten lang lauschte sie dem Zwitschern der Vögel vor ihrem Fenster und duselte dann wieder ein. Sie träumte von Nina, von dem Zug und von den Kabelbindern an ihren Handgelenken, die sich dann plötzlich um Kims eigene Arme zogen. Mit einem erschrockenen Aufschrei fuhr sie in die Höhe, sah sich in dem sonnigen Zimmer um. Sie sank zurück in die Kissen. Das Aufstehen schob sie so lange wie möglich hinaus und krabbelte erst gähnend aus dem Bett, als Sigurd energisch an ihre Zimmertür klopfte und sie ein Faultier nannte.
    Die Waffeln, die er eigens für sie gebacken hatte, waren natürlich längst kalt und schmeckten nach Pappe. Trotzdem quälte Kim zwei davon in sich hinein und lobte sie ausgiebig. Ihr Kopf schmerzte, als hätte sie am Vorabend mindestens drei Flying Hirsch in sich hineingekippt, und ihre Zunge fühlte sich an wie eine tote Ratte.
    Sigurd saß ihr gegenüber und betrachtete sie. Zu ihrer Erleichterung sprach er sie nicht auf Lukas’ seltsamen Auftritt an, sondern sah nur schweigend zu, wie sie einen Bissen nach dem anderen durch ihre Kehle zwängte.
    »Du siehst nicht besonders gut aus«, kommentierte er, als sie endlich den Teller von sich schob.
    Kim rümpfte die Nase. »Sehr

Weitere Kostenlose Bücher