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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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wieder mal völlig besoffen aus der Kneipe. Mit einem Kerzenleuchter hat er auf sie eingeschlagen. Hat ihr den Schädel zertrümmert, sodass sie hier gelandet ist.«
    Kim schluckte. Fieberhaft überlegte sie, was sie dazu sagen konnte. »Das tut mir sehr leid«, brachte sie schließlich hervor. Ihre Stimme klang heiser. Die andere Hand von Lukas’ Mutter, die noch auf der Bettdecke lag, zuckte schwach. Kim überlegte nicht lange, sie griff danach und hielt sie fest, genauso wie Lukas es tat.
    Über den regungslosen Körper seiner Mutter hinweg sah er sie an. Seine Mundwinkel hoben sich ein ganz kleines bisschen. Ohne den Blick von Kims Gesicht zu lassen, sagte er: »Siehst du, Mom? Ich habe dir gesagt, sie ist ein ganz besonderes Mädchen!«
    Die Hand von Frau Neumann war kühl und sehr glatt, aber das registrierte Kim nur am Rande. Lukas’ Worte gingen ihr durch und durch. Sie spürte, dass sie rot wurde.
    Rasch wich sie seinem Blick aus.
    Er lachte leise. »Kein Grund, verlegen zu werden.«
    Eine Weile waren sie beide ganz still. Nur das tiefe Atmen von Lukas’ Mutter war zu hören und ab und an ein Auto, das draußen auf dem Kopfsteinpflaster vorbeirollte.
    »Am Samstagabend«, sagte Lukas irgendwann. »Ich war frustriert wegen dem blöden Streit im Pascha. Nachdem ich weg bin, wusste ich nicht, wohin, bin durch die Straßen gelaufen und dann irgendwann in einer Bar gelandet. Ich hab getrunken. Viel zu viel getrunken. Und dann hat mich so ein Typ angemacht. Ich war besoffen und bin auf seine Provokation angesprungen. Wir haben uns geprügelt.« Lukas ließ die Hand seiner Mutter los und tippte sich gegen die Prellung am Kiefer. »Selbst schuld!« Er sah Kim direkt in die Augen, aber sie war sich trotzdem nicht sicher, ob seine Worte wirklich an sie oder nicht viel mehr an seine Mutter gerichtet waren. »Ich habe einfach die Beherrschung verloren. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Früher, in der siebten Klasse oder so, da habe ich mich oft geprügelt. Aber seitdem nicht mehr. Ich habe immer gedacht, dass ich diese Aggressionen, die mir mein Alter vererbt hat, im Griff habe. Aber am Samstag bin ich einfach ausgerastet. Es tut mir leid! Ich war betrunken. Darum war ich bei dir am Samstagabend. Ich wollte dir versichern, dass ich mich im Griff habe, dass ich nicht so ein Scheißkerl wie mein Vater bin.«
    Kim schwieg und ließ sich Lukas’ Sätze durch den Kopf gehen. Lukas’ Vater prügelte, wenn er betrunken war. Im Pascha hatte Lukas nur Cola getrunken und sie hatte ihn damit aufgezogen, ohne zu wissen, was sie ihm damit antat. Lukas trank keinen Alkohol, weil er nicht so werden wollte wie sein Vater! Jetzt im Nachhinein schämte sie sich sehr für ihre dummen, spöttischen Bemerkungen. Ihre Wangen wurden noch wärmer, als sie ohnehin schon waren.
    »Ich … es …« Unfähig zu erklären, was in ihr vorging, verstummte Kim wieder. »Entschuldige«, sagte sie schließlich nur.
    Da lächelte Lukas. »Eigentlich müsste ich mich entschuldigen, oder? Jetzt weißt du übrigens auch, warum ich zwei Jahre lang nicht in der Schule war.«
    Fragend hob Kim die Augenbrauen. Das verstand sie nun allerdings nicht.
    Lukas blickte auf seine Mutter hinab. »Ich habe versucht, auf sie aufzupassen.« Er machte eine kurze Pause. »Sobald ich mit der neunten Klasse fertig war, bin ich raus aus der Schule. Ich wollte möglichst die ganze Zeit bei meiner Mutter sein, weil mein Vater zu der Zeit arbeitslos war.« Dann zuckte er mit den Schultern und ein sarkastisches Lachen entwich ihm. »Ich dachte, ich könnte sie vor ihm beschützen, aber das hat sich leider als totaler Trugschluss erwiesen.« Jetzt legte er die Hand seiner Mutter auf das Deckbett zurück und strich sich mit einer müden Geste die Haare aus dem Gesicht. »Nach dieser Sache hier – also, die Polizei hat meinen Vater abgeholt. Er hat drei Jahre Knast bekommen. Drei Jahre!« Er schnaubte böse. »In knapp zweieinhalb Jahren ist er wieder draußen und kann sein Leben weiterleben. Und sie?« Sein Blick fiel auf das Gesicht seiner Mutter. Ganz weich wurden seine Züge dabei, aber seine Augen sprühten trotzdem vor Zorn über die Ungerechtigkeit dieser Tatsache. Er trug keinen Kajal, das erkannte Kim nun. Seine Wimpern waren an den Wurzeln so dicht und schwarz, dass es nur so aussah, als ob.
    Kim sah wieder auf seine Mutter. »Wenn sie hier ist und dein Vater im Kn … im Gefängnis. Lebst du dann ganz allein?«
    Er nickte. »Ich habe unsere Wohnung

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