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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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darauf.
    Lukas stieg aus. »Der Wagen hat keine Zentralverriegelung«, sagte er. »Du musst den Knopf runterdrücken, bevor du die Tür zumachst.«
    Kim tat, was er gesagt hatte. Ein wenig verloren stand sie auf dem schmalen Bürgersteig herum und sah zu, wie Lukas an den Kofferraum ging und ihn öffnete. Zu ihrer Verblüffung holte er einen Blumenstrauß heraus, der in knisternde Folie eingeschlagen war, und ein Buch, dessen Titel sie nicht erkennen konnte.
    Kims Blick fiel auf das Pflegeheim. »Wir machen einen Krankenbesuch«, stellte sie fest.
    Lukas nickte. Plötzlich wirkte er befangen, fast ein wenig nervös, und in Kim wuchs die Anspannung.
    »Keine Angst«, lächelte er ihr zu. »Ich möchte dich nur meiner Mom vorstellen.«
    Ohne auf Kims verblüfften Gesichtsausdruck zu achten, marschierte er auf das Pflegeheim zu. Kim musste sich beeilen, um mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Er machte sich nicht die Mühe, über den Plattenweg zum Haupteingang zu gehen, sondern überquerte einfach den Rasen. Kim lief hinter ihm her und kam dabei dicht an dem bunten Schild vorbei. Die Buchstaben darauf waren handgemalt und wirkten lebendig und fröhlich wie bei einem Kindergarten.
    Die Atmosphäre der Eingangshalle war ebenfalls freundlich. Auch hier war alles in Gelb gestrichen. Der Fußboden bestand aus hellem Marmor, ebenso wie der Empfangstresen, an dem sie eine Frau mit einem professionellen Lächeln auf den Lippen begrüßte.
    »Hallo, Lukas!«, sagte sie. »Schön, dass Sie sich wieder einmal blicken lassen.« Sie verlor kein Wort über Lukas’ Gesichtsverletzungen.
    »Hallo, Anna!« Lukas nickte der jungen Frau zu. »Ich habe heute mal Besuch mitgebracht.«
    Die Empfangsdame warf Kim einen freundlichen Blick zu. »Herzlich willkommen!«
    Kim bedankte sich, hielt sich dann aber weiter im Hintergrund. Lukas wirkte hier mit allem so vertraut. Zielstrebig ging er auf eine Reihe von Fahrstühlen im hinteren Teil der Empfangshalle zu. Er drückte auf den Rufknopf, dann warteten sie schweigend.
    Kim war unbehaglich zumute, aber wahrscheinlich war das in einer Umgebung wie dieser hier normal. »Deine Mutter …«, fragte sie vorsichtig. Sie hatte das Bedürfnis, etwas mehr über diese Frau zu erfahren, bevor sie ihr gegenübertrat.
    Lukas drehte sich so, dass er sie ansehen konnte. »Sie lebt hier, ja.« Sein Unterkiefer verkrampfte zu einer harten Linie.
    Kim schluckte. »Warum?«
    Lukas antwortete nicht sofort, denn nun kam der Fahrstuhl. Die Türen öffneten sich und Lukas betrat als Erster die Kabine. Kim folgte ihm und sah zu, wie Lukas auf den Knopf für den zweiten Stock drückte. »Abteilung für Neurologie« stand auf einem Schildchen daneben. Erst nachdem die Türen sich geschlossen hatten und der Fahrstuhl auf dem Weg nach oben war, beantwortete Lukas Kims Frage.
    »Mein Vater hat sie hierhergeprügelt.« Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. »Seitdem kümmern sie sich hier um sie.«
    Kim biss die Zähne zusammen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und so war sie erleichtert, als die Türen sich kurz drauf im zweiten Stock öffneten und sie die enge Kabine wieder verlassen konnten. Sie gingen durch eine Glastür und einen Gang entlang, der in demselben hellen Gelb gestrichen war, wie offenbar alles hier. Eine Krankenschwester kam ihnen entgegen. Auch sie begrüßte Lukas mit seinem Vornamen und siezte ihn wie diese Anna unten am Empfang. Im Gegensatz zu ihr jedoch, schaute sie ganz offen und ein wenig überrascht auf Lukas’ Prellung, aber auch sie verlor kein Wort darüber. »Wir sind heute in recht guter Verfassung«, sagte sie stattdessen und wies dann auf eine der Zimmertüren. »Gehen Sie ruhig rein! Soll ich Ihnen die Blumen abnehmen und in eine Vase stellen?«
    Lukas dankte der Frau und gab ihr den Strauß. Er wartete, bis sie um eine Ecke verschwunden war. »Schwester Barbara«, sagte er leise zu Kim. »Sie identifiziert sich immer sehr mit ihren Patienten, darum sagt sie ›wir‹.« Er grinste freudlos. Seine Hand lag bereits auf der Türklinke. Ein kleines Plastikschild neben der Tür verriet den Namen der Frau, die hier lag: Marianne Neumann. Erst als Kim dies las, wurde ihr bewusst, dass sie Lukas’ Nachnamen bisher gar nicht gekannt hatte. Neumann also.
    »Bereit?«, fragte Lukas.
    Kim nickte, obwohl sie sich alles andere als bereit fühlte. Mit einem Mal spürte sie den Drang wegzulaufen. Trotz der hellen Farben und großen Fenster wurde ihr hier alles zu eng. Und sie fragte

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