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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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gequälten Laut unterdrückte, aber sie las weiter.
    »Denn bis zum anderen Ufer der Nacht
    ist es ein endloser Tunnel,
    ein finsterer Schacht.
    Seit die wolfsgelben Augen
    kholenschwarz wurden
    und die lautlosen Pfoten
    des Wolfes
    mir ihre Krallen ins Herz schlugen.
    Der Hirsch,
    der meine Geheimnisse kennt,
    hat gesehen
    wie der flirrende Schatten des
    Todes
    auf mich gefallen ist.«
    Sie ließ das Buch sinken. »Was hast du vor?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Ich muss beweisen, dass ich unschuldig bin.«
    Die Schnur des Ladekabels ringelte sich an Kims Hals entlang, als sie sich aufsetzte. »Wie?«
    »Es ist besser, wenn du das nicht weißt.«
    »Lukas …!«
    »Nein Kim! Ich werde dich nicht mit in diese Sache hineinziehen!«
    »Ich …« Vor lauter Verzweiflung schossen Kim Tränen in die Augen. »Ich weiß nicht …« Wütend biss sie sich auf die Lippen, weil sie bemerkte, dass man die Tränen in ihrer Stimme hören konnte.
    Lukas atmete schwer ein. »Nicht weinen!«, bat er.
    Kim öffnete den Mund, aber sie brachte keinen Ton mehr hervor.
    »Ich liebe dich!«, sagte Lukas leise.
    Dann legte er auf.
    Es kam Kim vor, als habe das Telefonat mit Lukas ihren gesamten Körper in eine muskellose Masse verwandelt. Sie konnte sich einfach nicht mehr bewegen, lag auf ihrem Bett, starrte an die Decke, während sich ihre Gedanken im Kreis drehten und eine Träne nach der anderen über ihr Gesicht lief. Irgendwann waren keine Tränen mehr übrig und in Kim wurde alles taub. Ihre Lider brannten.
    Schließlich schloss sie sie.
    Und sofort sah sie die Bilder vor sich. Ninas Gesicht mit der Libelle darauf. Marie mit ihren geschminkten Schwalbenschwanzaugen. Lukas. Seine dunklen Wimpern. Lukas aus ihrem Traum, die gefesselten Hände erhoben, um Gnade flehend. Das Hirschgeweih, das rechts von ihm über seiner Schulter hing …
    Was hatte Lukas sie noch einmal gefragt, kurz nachdem sie seinen Anruf angenommen hatte?
    Weißt du, wo Ninas Handy sein k…
    Sie hatte ihn unterbrochen, hatte ihm von dem Haar erzählt. Auf dem Handy war möglicherweise ein Beweis, der ihn entlasten konnte, das hatte Kommissar Weidenschläger auch gesagt. Aber das Handy war seit mehr als zwei Jahren verschollen. Nicht einmal die Polizei war offenbar in der Lage, es ausfindig zu machen. Wie kam Lukas darauf, dass er es jetzt noch wiederfinden könnte? Und was hatte es mit diesem elenden Gedicht auf sich?
    Töte mich zärtlich, Liebster!
    Kims Gedanken kreisten um die rätselhaften Worte. Fast alles ergab inzwischen einen Sinn. Schattenflügel: damit war die Libelle gemeint. Der Wolf war Lukas.
    Nur der Hirsch passte nicht ins Bild.
    Der Hirsch,
der meine Geheimnisse kennt …
    Kim nahm das Buch zur Hand und las die Zeilen wieder und wieder.
    Und erneut schob sich das Bild von Lukas mit den Kabelbindern an den Handgelenken vor ihr inneres Auge.
    Mit einem Ruck erhob sie sich.
    Das Geweih!
    Der Hirsch, der meine Geheimnisse kennt …
    Plötzlich wich alle Trägheit, alle Kraftlosigkeit von ihr. Sie schwang die Beine aus dem Bett.
    Es war noch nicht einmal siebzehn Uhr, draußen war es noch hell. Seltsam, denn es kam ihr vor, als habe sie stundenlang auf dem Bett gelegen und vor sich hin gestarrt.
    Nachdenklich schaute Kim aus dem Fenster.
    Und dann fasste sie einen Entschluss.
    Sie stöpselte ihr Handy vom Ladekabel ab und warf einen Blick darauf. Es war nur zu etwa drei Vierteln geladen, aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie schaltete es aus, um den alten Akku zu schonen, und schob das Gerät in die Tasche ihrer Jeans. Auf Socken schlich sie die Treppe hinunter. Sigurd und Johanna saßen noch immer in der Küche und es hörte sich so an, als stritten sie. Jedenfalls sprachen beide lauter als gewohnt. Kim war froh darüber. Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe und nahm leise die Jacke vom Haken. Dann öffnete sie behutsam die Haustür und schlich sich hinaus.
    Als sie durch das Gartentor lief, glaubte sie, jemanden ihren Namen rufen zu hören, aber sie achtete nicht darauf. Mit klopfendem Herzen schlug sie den Weg zum Waldschlösschen ein.
    Seit ihrem letzten Besuch, der so abrupt geendet hatte, waren offenbar ein paar Jugendliche hier gewesen und hatten eine Party veranstaltet. Die roten und schwarzen Fliesen waren mit neuen Glasscherben übersät. Es roch nach altem Bier und Urin.
    Kim verzog das Gesicht.
    Die ganze Atmosphäre war weitaus weniger geheimnisvoll als in ihren Träumen. Der ekelige Geruch machte die morbide, düstere

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